Verteidigungsschrift für den Marxismus:Mit Murdoch für eine bessere Welt
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"Warum Marx recht hat" - Terry Eagleton predigt den bußfertigen Kapitalismus. Offenbar glaubt der englische Literaturkritiker, dass das Elend, das "Wirtschaftsführer" im Allgemeinen sowie Rupert Murdoch im Besonderen in der Welt anrichten, bloß Verfehlungen wider besseres Wollen seien. Das hat etwas Absurdes.
Im ersten Kapitel des "Kommunistischen Manifests" sprechen Karl Marx und Friedrich Engels von der bürgerlichen Gesellschaft als von einem "Hexenmeister", der "die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor".
Als Beleg für diese Behauptung führen sie die "Handelskrisen" an, die nicht nur einen großen Teil der erzeugten Produkte, sondern sogar der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichteten, worauf die Gesellschaft sich "plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt" finde. Und weil diese Krisen, so Karl Marx und Friedrich Engels, immer gewaltiger werden müssten, sei in ihnen schließlich auch das Ende der bürgerlichen Gesellschaft angelegt: "Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst."
Zwei Mängel hat dieser Gedanke: Zum einen ist es keineswegs selbstverständlich, warum ein notwendiges Moment der kapitalistischen Warenwirtschaft - nämlich die Überproduktion von Gütern (und heute: von Geld) und die dadurch entstehende Krise - ihr zugleich das Ende bereiten soll.
Dieselbe Geschichte mag ja durchaus weitergehen, in immer neuen Sphären, auf immer neuen Niveaus, eben so, wie Karl Marx diesen Prozess später, im dritten Band des "Kapitals", beschrieb und wie es in den 164 Jahren geschah, die seit der Veröffentlichung des "Kommunistischen Manifests" vergangen sind. Zum anderen muss man für historische Notwendigkeiten nicht agitieren: Wenn der Kapitalismus zwangsläufig am eigenen Untergang arbeitete, könnte man auf die Publikation von Kampfschriften verzichten. Karl Marx und Friedrich Engels schwächen ihre These im selben Augenblick, in dem sie diese aussprechen.
Dem Erfolg der These haben diese Mängel indessen keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: wenn der Marxismus seit einigen Jahren wieder interessant erscheint, weniger als Theorie denn als Bestätigung eines kritischen Volksglaubens, das Geld habe sich gegen die Welt verschworen, dann beruht das auf derselben Verwechslung, die auch für die These vom zwangsläufigen Untergang der bürgerlichen Gesellschaft sorgte: auf dem Missverständnis, dass die Krisen, die der Kapitalismus nicht nur hervorbringt, sondern die ihn auch weitertragen, identisch seien mit einer Krise des Kapitalismus selbst.
Ultimative Bedrohung des "ökologischen Gleichgewichts"
Nur dass diese Idee heute noch bequemer ist, als sie im Jahr 1848 schon war: Denn sieht man nicht, allerorten, wie die das hemmungslose Gewinnstreben die letzten Ressourcen dieser Erde vernichtet, wie es den Lebensraum der Menschen zerstört und ganze Völkerschaften in den Ruin treibt? War Karl Marx nicht also doch ein Prophet, als er meinte, der Kapitalismus werde an sich selber zugrundegehen? Und mit ihm die ganze Welt?
Der britische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton hat sein jüngstes Werk der Verteidigung des Marxismus gegen dessen Kritiker gewidmet. "Warum Marx recht hat" heißt dieses Buch. Es schließt mit dem Satz: "Es sieht ganz so aus, als würde der Kapitalismus, wenn wir jetzt nicht handeln, unser Tod sein." So kehrt der Gedanke aus dem "Kommunistischen Manifest" wieder, die bürgerliche Gesellschaft werde sich bald selbst zerstören, dieses Mal in der Variante, sie sei die ultimative Bedrohung des "Weltfriedens" und die ultimative Bedrohung des "ökologischen Gleichgewichts".
Deshalb spreche viel dafür, so Terry Eagleton, sich vertrauensvoll an Karl Marx und seine Lehren zu wenden: "Der Kapitalismus ist der Zauberlehrling: Er hat Kräfte beschworen, die vollkommen außer Kontrolle geraten sind und uns nun mit der Vernichtung bedrohen. Der Sozialismus soll diese Kräfte nicht etwas steigern, sondern sie unter vernünftige Kontrolle des Menschen bringen." Seltsam ist das schon: Denn war es Karl Marx und Friedrich Engels mit dem "Kommunistischen Manifest" nicht darum gegangen, die Arbeiter gegen die "Bourgeoisie" aufzupeitschen? Und nun sollen ihre Ideen dazu taugen, eben dieselbe Bourgeoisie vor sich selbst zu retten?
Wenn ein Werk "Warum Marx recht hat" (im Original: "Why Marx Was Right") heißt, könnte man eine Auseinandersetzung mit dem jüngsten Stand des Kapitalismus und seiner Krisen erwarten, auf der Grundlage einer ökonomischen Theorie, die Karl Marx vor allem im "Kapital" liefert. Terry Eagleton aber hat etwas anderes im Sinn: Er wirbt um Verständnis, ja um Billigung der Marx'schen Lehre, mit dem Argument, deren Absichten seien ungleich friedfertiger, maßvoller und gemeinnütziger als die kapitalistische Praxis.
Deswegen verrechnet er die Gewalt, mit der sich die Nationalstaaten durchsetzten, mit den Massenmorden unter Stalin und Mao, deswegen lässt er Karl Marx an "Liebe und Mitmenschlichkeit" glauben, deswegen verwandelt er ihn in einen Anhänger der "Mittelklasse" und "ihrer großen revolutionären Werte: Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstentfaltung. Selbst abstrakte Gleichheit hielt er für einen gehörigen Fortschritt gegenüber den Hierarchien des Feudalismus.
Er glaubte eben nur, dass diese wünschenswerten Prinzipien nicht zum Tragen kommen können, solange es den Kapitalismus gibt." Einen netteren, harmloseren, rücksichtsvolleren Karl Marx als den grenzenlos gutmütigen Revolutionär, den Terry Eagleton entwirft, gab es selbst unter den heuchelnden Menschenfreunden des real existierenden Sozialismus nicht.
Entsprechend ist das Buch aufgebaut: Es ist keine Auseinandersetzung mit dem Weltzustand oder mit marxistischen Argumenten, sondern ein Versuch, ein paar landläufige Einwände gegen die kommunistische Lehre zu entkräften - der Marxismus sei eine historisch überholte Lehre etwa, oder er würdige den Menschen zum Instrument der Geschichte herab, oder er reduziere alles auf Wirtschaft, oder er verlange nach einem totalitären Staat, oder die Arbeiterklasse sei ja längst verschwunden.
Interessenkonflikte in ein gemeinsames Anliegen umlügen
Das alles seien Missverständnisse, beteuert Terry Eagleton, lauter Vorurteile, die einer Prüfung nicht standhielten und die Menschen von ihrem eigenen Besten abhielten: "Selbstverständlich wären die Sozialisten überglücklich, wenn die Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung sich ebenfalls auf ihre Seite schlagen würden. Die Marxisten hätten nicht das Geringste dagegen, wenn sich ihnen Richter, Rockstars, Medienmagnaten und Generalmajore scharenweise anschlössen. Nichts spräche gegen Rupert Murdoch und Paris Hilton, sofern sie genügend Reue zeigten und zu einer längeren Bußzeit bereit wären."
Es ist, als ginge das Elend, das "Wirtschaftsführer", "Generalmajore" im Allgemeinen sowie Rupert Murdoch im Besonderen in der Welt anrichten, nicht darauf zurück, dass diese Gründe haben und Zwecke verfolgen (die es dann zu verstehen und zu kritisieren gälte) - sondern auf Verfehlungen wider besseres Wollen. "Pfäffisch" hätte man im neunzehnten Jahrhundert Terry Eagletons Verfahren genannt, selbst die brutalsten Interessenskonflikte in Verfehlungen an einem gemeinsamen Anliegen umzulügen.
Mit Karl Marx und seiner Überzeugung, der Lohnarbeiter lebe nur insoweit, "wie es das Interesse der herrschenden Klasse erheischt" - woraus dann ein handfester Gegensatz entsteht, der nur revolutionär aufzuheben sei -, haben diese Beteuerungen nichts zu tun. Im Gegenteil hat es schon etwas Absurdes, wenn Terry Eagleton in seinem Vorwort zu einer gerade erschienen Ausgabe des "Kommunistischen Manifestes" über Karl Marx schreibt, dieser sei "ein Prophet" im "ursprünglichen biblischen Sinne, jemand, der uns warnt, dass wir unseren Pfad der Ungerechtigkeit verlassen müssen, wenn die Zukunft nicht zutiefst unangenehm werden soll."
Immerhin fällt in eben diesem "Manifest" der Satz von den "socialistischen Bourgeois", die von einem "neuen Jerusalem" träumten, das sie in einer bürgerlichen Gesellschaft ohne deren Missstände vermuteten.
Terry Eagleton muss diesen Satz überlesen haben, genauso wie den allergrößten Teil des gesamten Marx'schen Œuvres. Und man mache sich nichts vor: Die Entschlossenheit, mit der die "Bourgeoisie" in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten ihre marxistische Kritik bekämpfte, hatte ihren Grund gewiss nicht in Missverständnissen.
Als Marxist versteht sich Terry Eagleton, der 1943 in Salford bei Manchester geboren wurde, spätestens seit den siebziger Jahren, seit seinem Buch über "Marxism and Literary Criticism", dem Programm einer marxistischen Literaturwissenschaft. Danach kamen Jahrzehnte, in denen er hauptsächlich Philologe war.
Wenn er jetzt auch publizistisch zum Marxismus zurückkehrt, so wird das seinen Grund darin haben, dass die aktuelle Fassung der Gesellschaftskritik seinen Ideen so nahe kommt: die "Occupy"-Bewegung mit ihrem Glauben, die Vorführung von Betroffenheit - und die Beschwörung von Apokalypsen - sei Grund genug, sich kollektiv von den "Exzessen" der herrschenden Wirtschaftsform abzuwenden. Mit ihr teilt Terry Eagleton das Vertrauen auf eine abstrakte Gemeinsamkeit aller Menschen und die Hoffnung auf eine dadurch entstehende neue Volksbewegung. Merkwürdig nur, dass er (und "Occupy") dabei auf so wenig Widerspruch stößt.
TERRY EAGLETON: Warum Marx recht hat. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 286 Seiten, 18 Euro.
KARL MARX/FRIEDRICH ENGELS: Manifest der kommunistischen Partei. Mit einem Vorwort von Terry Eagleton. Laika Verlag, Hamburg 2012. 118 Seiten, 8,50 Euro.