Süddeutsche Zeitung

"Tim und Struppi" im Kino:Aus der Traum von der Unsterblichkeit

Lesezeit: 2 min

Perfekt bis zum Überdruss ist Steven Spielbergs "Tim und Struppi". Mit seiner 3D-Orgie und dem hemmungslosen Einsatz computergenerierter Tricks vergreift sich der Regisseur an den Comic-Helden und befördert sie in ein totes Niemandsland.

Fritz Göttler

Unsterblich, hat der große französische Denker Michel Serres gesagt, unsterblich sei, was das Erzählen angeht, das "Geheimnis der Einhorn", Band 10 der Tintin-Serie des belgischen Comic-Meisters Hergé. Steven Spielberg hat bei seiner Verfilmung dieses Bandes sein Möglichstes getan, damit man von dieser Unsterblichkeit nichts mehr mitkriegt.

Spielberg ist ein großer Tintin-Fan, d'accord, einer von vielen Filmemachern weltweit, die von dieser Serie inspiriert wurden und dies liebevoll bekundeten - in ihren imaginären Erfindungen, ohne einen der Bände direkt zu verfilmen. Was das Erzählen angeht, von der Welt, der kleinen wie der großen, in jener einfachen, unaufgeregten Manier, die als Ligne Claire weltbekannt wurde, könnte das 20. Jahrhundert alles gelernt haben von Hergé und seinem Helden.

Von den Dreißigern bis in die Siebziger hinein sind die 24 Bände konzipiert und gezeichnet, nachkoloriert und vom Autor selbst hin und wieder angepasst worden, es hat Film- und TV-Fassungen gegeben, und nun gibt es den Megafilm von Spielberg, der sich als Tintin par excellence geriert und dem schnellstmöglich ein weiterer des Kollegen Peter Jackson folgen wird. Am Drehbuch haben zwei Genre-Klamauk-Spezialisten mitgearbeitet, Edgar Wright ( Shaun of the Dead, Hot Fuzz) und Joe Cornish, der vor kurzem Attack the Block in die Kinos brachte, und über die beiden sind offenbar die britischen Komiker Simon Pegg und Nick Frost für Schulze und Schultze verpflichtet worden.

Mit dem hemmungslosen Einsatz der computergenerierten Tricks will das Kino seit einigen Jahren zeigen, dass nichts ihm unmöglich ist - und nähert sich dabei stark der Animation. Kamerabewegungen hat man früher die Anstrengung angesehen, die es bedeutete, die gewohnten Wege zu verlassen, sich vom Boden der Realität abzuheben. Nun sind sie, weil im Überdruss simuliert, das Langweiligste auf der Welt.

Es schaudert einen, wenn man an die Megabytes-Ladungen denkt, die in der Spielberg-Jackson- Produktion aufgewendet wurden. Das "Performance Capture"-Verfahren soll nun den Animationsfilm der Wirklichkeit annähern, diesmal in 3-D. Dieser Tim und Struppi-Film, nach einer charmanten Einführung im Geiste von Hergés Universum, handhabt es so perfekt, dass er in einem toten Niemandsland landet, mit monströsen Figuren, die bei aller Rasanz, zu der die Dramaturgie sie verdonnert, ihre plastilinöse Plumpheit nicht kaschieren können. Sie sind nicht Mensch und nicht Phantasiewesen, kennen keinen Ort und keine Zeit, die ihnen gehören, haben keine kinetische Intelligenz, keine Leichtigkeit und Eleganz, keine Transparenz.

Die Tintin-Bände, so noch mal Michel Serres, haben uns, den Kindern des Krieges, in den Vierzigern gestattet zu träumen. Seit vielen Jahren hat Steven Spielberg das Träumen verlernt, und mit welch einfachen Mitteln die Traumfabrik Hollywood uns dazu verhelfen könnte. Im ersten Indiana Jones, mit dem jungen Harrison Ford - dreißig Jahre ist das her, dass dieser Film das Publikum bannte -, da ist der Geist von Tintin sehr viel vitaler als nun.

THE ADVENTURES OF TINTIN, USA/Neuseeland 2011 - Regie: Steven Spielberg. Buch: Steven Moffat, Edgar Wright, Joe Cornish. Mit: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig, Simon Pegg, Nick Frost. Sony, 107 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2011
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