Süddeutsche Zeitung

Utopia Orchester:Meister des Schweigens

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Teodor Currentzis dirigiert zum ersten Mal sein neu gegründetes Utopia Orchester in Luxemburg: fabelhaft. Die Diskussionen um seine Person beendet er damit aber nicht.

Von Egbert Tholl

Die beste Beschreibung dieser Unternehmung gibt Teodor Currentzis selbst nach dem Konzert. Utopia sei "wie ein Jugendorchester mit Erwachsenen". Was die Euphorie angeht, stimmt das mit der Jugend sicherlich. Und was die Qualität betrifft, das mit den Erwachsenen. Das erste Konzert von Currentzis' Utopia Orchester in der Philharmonie von Luxemburg ist herausragend.

Im Sommer dieses Jahres gab Teodor Currentzis bekannt, er wolle ein neues Orchester gründen, das die besten Musiker aus aller Welt zusammenbringe (wie es einst Claudio Abbado in Luzern tat) und finanziell wie organisatorisch unabhängig sei. Zu diesem Zeitpunkt wirkte es wie eine Reaktion auf die Diskussionen um sein Ensemble MusicAeterna (Chor und Orchester), das in St. Petersburg beheimatet ist, von der russischen VTB-Bank unterstützt wird und deshalb im Westen derzeit nicht wohlgelitten ist. Stephan Gehmacher etwa, Intendant der Philharmonie von Luxemburg, würde erhebliche Bauchschmerzen kriegen, wollte MusicAeterna in seinem Haus auftreten. Mit Utopia indes hat er kein Problem. Im Gegenteil: Er gab dem Orchester Heimstatt für die Probenarbeit.

Man versteht: Dieser Mensch ist in einer anderen Welt zu Hause

Die Idee dazu hatte Currentzis bereits 2018, also sehr lange vor allen Diskussionen um die russischen Verflechtungen seines Ensembles oder auch seiner Person. Nach wie vor ersehnen manche von ihm selbst ein klares Statement gegen Putin, von dem er 2014, kurz nach Annektion der Krim, die russische Staatsbürgerschaft erhielt. Zwar fehlt so ein Statement immer noch, andererseits gibt es von Currentzis keinerlei Äußerungen pro Putin, und den Krieg hat er verdammt. Und wenn man Currentzis an diesem Abend in der Luxemburger Philharmonie erlebt, dann versteht man auch, dass dieser Mensch in einer anderen Welt zu Hause ist. Seine Dankesrede nach dem Konzert nutzt er unter anderem auch dazu, Feinheiten des Dirigierens zu diskutieren.

Doch so leicht, wie sich Currentzis das Abtauchen in rein künstlerische Welten vorstellt, ist die Sache um seine Person nicht. Eben sagte die Kölner Philharmonie das Konzert im Januar 2023 ab mit ihm und dem SWR-Symphonieorchester, dessen Chef Currentzis noch bis 2024 ist. "Über ein halbes Jahr nach Kriegsausbruch sollte doch eine Haltung zu der politischen Lage erkennbar sein. Die Aktivitäten und Finanzierung seiner Ensembles MusicAeterna und auch Utopia lassen vermuten, dass er dem russischen Regime sehr nahesteht", begründet Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort die Absage.

Finanziert wird Utopia, das keinen festen Sitz hat, sondern auch in Zukunft projekthaft arbeiten wird (geplant zwei- bis dreimal pro Jahr), von verschiedenen Mäzenen und maßgeblich von der Stiftung "Kunst und Kultur DM": Einer deren drei Vorstände ist Dietrich Mateschitz, Erfinder und Inhaber von Red Bull, der auch Geschäftsführer der Red Bull Media House GmbH ist, in deren Besitz sich Servus TV befindet. Auf dem Sender war im Sommer ein annähernd hagiografisches Interview mit Currentzis zu sehen, das Ioan Holender, Ex-Intendant der Wiener Staatsoper, führte und wobei er sich auch mit politischen Äußerungen herzhaft blamierte. Servus TV wird auch das Wiener Konzert von Utopia übertragen.

Klar ist: Künftig muss er mehr bieten als ein sehr gutes Konzert

Freilich: Ein multinationales Orchester allein könnte man schon als Statement sehen, wäre es denn wirklich außergewöhnlich, aber alle großen Spitzenorchester sind international aufgestellt. Außergewöhnlich ist vor allem die Genese. Currentzis suchte sich dafür völlig frei die Musikerinnen und Musiker zusammen. 116 aus fast 30 Ländern, exponierte Instrumentalisten aus Orchestern von der Camerata Salzburg bis zum Concertgebouw in Amsterdam, aus deutschen Staatsopern oder dem BR-Symphonieorchester. Manche spielten bereits mit ihm, manche wollten dies endlich einmal tun, die Konzertmeisterin stammt von MusicAeterna, Olga Volkova.

Ob Utopia durch die Decke geht, bleibt abzuwarten. Für die Konzerte in Hamburg (Laeiszhalle), Wien und Berlin gibt es noch Karten. Und wenn dieses Orchester wirklich ein Gegenbild zum herrschenden Konzertbetrieb abgeben will, muss es mehr bieten als ein sehr gutes Konzert. Currentzis weiß das. Sinngemäß meint er, beim Beginn habe er noch die Regierung innegehabt. In der Folge solle es eine Gemeinschaft werden, die neue Formate ausprobiere. Die kommende Projektreihe - Mahlers dritte Symphonie im Juni 2023 - ist allerdings so Standard wie das Eröffnungskonzert.

Strawinskys "Feuervogel", "Daphnis et Chloé", "La Valse" und den "Bolero" (als Zugabe) von Ravel, vier Stücke, mit denen man Orchesterbrillanz demonstrieren kann. Das gelingt fabelhaft. In vier Tagen und intensiven Proben fanden sich Superspezialisten zu einem erstaunlich homogenen Organismus zusammen. Alles, was solistisch ist, gelingt ohnehin großartig, verblüffend aber ist der Streichersound, vor allem im silbrig hellen, stets berückenden Pianissimo. Das erlebt man so sehr selten.

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