Süddeutsche Zeitung

"Captain Marvel" im Kino:Oh Wunder, auch Frauen können Actionhelden spielen

Lesezeit: 4 min

Von David Steinitz

Beginnen wir mit der wundersamen Wandlung, die Samuel L. Jackson im Superheldenfilm "Captain Marvel" durchläuft. Darin tritt der Schauspieler, der kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, faltenfrei als Mann in seinen Vierzigern auf - die Pixelkünstler von Hollywood machen es möglich.

"De-aging" nennt man diese Technik. Sie wurde schon mehrfach im Kleinen erprobt, zum Beispiel für die verjüngten Gastauftritte von Michael Douglas, 74, in den "Ant-Man" Filmen. 2019 wird sie nun endgültig zu einem Standardwerkzeug des Filmemachens. Bald wird man in Martin Scorseses Mafiadrama "The Irishman" die Hollywoodstars Robert De Niro, 75, und Al Pacino, 78, noch mal als junge Gangster sehen können. Wobei das De-aging von Samuel L. Jackson nicht die beste Referenz für diese Technik geworden ist. Denn Jackson sieht man die nachträgliche Bearbeitung im Computer deutlich mehr an als den vielen grünrunzligen Alienmonstern um ihn herum.

Genau genommen sieht der verjüngte Samuel L. Jackson nicht aus wie der junge Samuel L. Jackson, sagen wir mal zu "Pulp Fiction"-Zeiten. Sondern mehr wie eine Plastikversion seines Schauspielkollegen Laurence Fishburne zu "Matrix"-Zeiten. Und über den erzählt Jackson schon seit Jahren, man würde sie ständig miteinander verwechseln. Haben sich die Computernerds des Marvel-Studios da etwa einen Scherz erlaubt?

Aber egal, Jackson ist in "Captain Marvel" ohnehin nur die zweite Geige hinter der titelgebenden Heldin, die von der Schauspielerin Brie Larson gespielt wird (29 Jahre alt, da ist De-aging selbst in Hollywood vorerst noch nicht notwendig).

Der Film ist das 21. Werk im "Marvel Cinematic Universe", also dem Comicfilm-Kosmos, mit dem das Studio seit 2008 den Blockbusterbetrieb in Hollywood dominiert. Und in diesem Kosmos ist dies der erste Film, der eine weibliche Superheldin zur Hauptfigur hat. Captain Marvel hatte in den Comic-Vorlagen seit den Sechzigerjahren die verschiedensten, auch männlichen Inkarnationen. Eine seiner Erscheinungsformen ist eine toughe junge Frau namens Carol Danvers, welche die Inspiration für die Filmversion ist.

Anders als bei Wonder Woman ist die Heldinnenwerdung hier vor allem eine Komödie

Das liegt bestimmt zumindest ein bisschen daran, dass der größte Marvel-Konkurrent DC im Kino nach Jahrzehnten mit Bat- und Supermännern einen veritablen Blockbuster-Hit mit "Wonder Woman" hatte. Der Film setzte 2017 auch in den letzten misogynen Hollywoodköpfen die Erkenntnis durch, dass die Zuschauer, oh Wunder, auch Frauen als Protagonistinnen eines Actionfilms mögen (DC hat übrigens auch einen Captain Marvel im Programm, schon seit den Vierzigerjahren, was zu einem jahrelangen Markenrechtsstreit zwischen den Verlagen führte, aber das ist eine andere Geschichte).

Jedenfalls ist bei den Männern, die das Marvel-Studio lenken, nun auch ein gewisses Interesse an Heldinnen geweckt, der US-Start von "Captain Marvel" wurde sogar extra auf den heutigen Weltfrauentag gelegt (in Deutschland läuft er seit Donnerstag). Das Werk wirft allerdings die Frage auf, ob die Filmemacher in Hollywood unter Gleichberechtigung verstehen, die Frauen durch genauso dumme Filmplots zu schicken wie die Männer - denn die Geschichte von "Captain Marvel" ist ein ziemlicher Mist. Zwei Alienrassen liegen im Krieg, und den tragen sie zum Teil auf einem Planeten namens C-53 aus, der von einem resignierten Alien als "ziemliches Scheißhaus" bezeichnet wird und sich dann als unsere Menschenerde entpuppt. Da hilft natürlich nur eine Superheldin. Schlachten müssen ausgetragen, Seiten gewechselt und weitere wichtige Grundsteine in der Marvel-Mythologie geklärt werden. Dazu gehört der verjüngte Samuel L. Jackson, der mal wieder den Heldenmentor Nick Fury spielt, diesmal noch ohne sein Markenzeichen, die Augenklappe. In "Captain Marvel" wird die Vorgeschichte seiner bisherigen Marvel-Auftritte miteingeflochten.

Glücklicherweise nehmen die Regisseure Ryan Fleck und Anna Boden, letztere die erste Frau auf dem Regiestuhl eines Marvel-Films, das Superheldenpathos nicht allzu ernst. Sie inszenieren die Heldinnenwerdung ihrer Protagonistin vor allem als Komödie. Die beiden sind Veteranen des amerikanischen Independent-Kinos, haben zum Beispiel das Lehrerdrama "Half Nelson" gedreht und die Coming-of-Age-Tragikomödie "It's Kind of a Funny Story". Jetzt geben sie ihr Blockbuster-Debüt. Marvels Chefproduzent Kevin Feige rekrutiert seine Regisseure seit Jahren am liebsten außerhalb des etablierten Studiosystems, um mit Hollywoodneulingen dafür zu sorgen, dass seine Superhelden-Fließbandproduktion möglichst wenig nach Fließband aussieht.

In den Neunzigerjahren waren Frauen nur Sidekicks mit hopsenden Brüsten

Natürlich ähneln Marvel-Filme mehr den einzelnen Folgen einer Serie als eigenständigen Kinofilmen. Ein eingespieltes Team aus Setdesignern, Kameraleuten, Komponisten und Editoren sorgt dafür, dass man jeden Marvel-Film sofort als solchen erkennt, anhand eines stringenten Corporate Designs. Die Regisseure spielen in dieser Maschinerie fast schon eine untergeordnete Rolle, tragen aber dennoch mit individuellen Spielereien dazu bei, dass die Filme untereinander nicht völlig austauschbar werden.

Diese Geschichte haben Boden und Fleck ins Los Angeles des Jahres 1995 gelegt. Das bietet ihnen die Möglichkeit für viele Gags aus der Urzeit des Internets, als Modems sich kreischend einwählten und geheime Superheldendaten auf CD-ROM gespeichert wurden. Außerdem haben sie einen astreinen Neunziger-Soundtdrack mit Nirvana, Beck und No Doubt zusammengestellt. Vor allem aber sind die Neunzigerjahre als Schauplatz für die Abenteuer der ersten Marvel-Superheldenfrau, die ihren eigenen Film bekommt, eine Art späte Rache am Kino jener Ära.

Das tat nämlich immer sehr modern, propagierte aber, zumindest in Hollywood, ein Frauenbild, das deutlich näher an den Fünfzigern dran war als an der Gegenwart. Man denke an die zu Sidekicks mit hopsenden Brüsten degradierten Darstellerinnen aus Michael-Bay-Filmen. Insofern hat es fast schon therapeutische Funktion, wenn Brie Larson als Captain Marvel die Sache in die Hand nimmt und die Aliens des fernen Jahres 1995 verdrischt, während aus den Kinolautsprechern "Just A Girl" plärrt.

Captain Marvel , USA 2019 - Regie: Anna Boden, Ryan Fleck. Kamera: Ben Davis. Mit: Brie Larson, Samuel L. Jackson, Ben Mendelsohn, Annette Bening, Jude Law. Disney, 124 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 08.03.2019
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