Süddeutsche Zeitung

Im Kino: "Sommer 85":Wahnhafte Sommerliebe

Lesezeit: 2 min

In seinem neuen Film erzählt François Ozon von einer Amour fou, die weniger verrückt ist, als sie zu sein glaubt.

Von Philipp Stadelmaier

Die Dinge hätten ja auch undramatisch enden können, jedenfalls nach Ablauf der begrenzten Frist, die Sommerflirts in diesem Alter eben so dauern. Dieser jedoch gipfelt in einem tödlichen Unfall, und so bekräftigt die Erzählerstimme des sechzehnjährigen Alexis schon zu Anfang aus dem Off, dass er seit dem Tod des zwei Jahre älteren David vom Tod regelrecht "besessen" sei. Der junge Mann scheut keine großen Worte, und später bemerkt sein Lehrer, dass ein großes literarisches Talent in ihm schlummert. Den Begriff "Sommerflirt" würde der junge Romancier natürlich weit von sich weisen: Diese Liebe hier ist groß und endet tragisch.

Von ihr erzählt François Ozon in seiner Verfilmung von Aidan Chambers Roman "Dance on My Grave" in Rückblenden. Zeitpunkt der Handlung ist, wie der Titel verrät, der "Sommer 85". Wir sind in einem pittoresken Badeort in der Normandie, wohin Ozon die Handlung verlegt; bei Chambers spielt sie im englischen Southend. Als Alexis (Félix Lefebvre) mit einem Boot bei Unwetter zu weit aufs Meer rausfährt, rettet ihm der charmante wie furchtlose David Gorman (Benjamin Voisin) das Leben. Daraufhin nimmt er den schüchternen Jungen mit nach Hause, wo ihm Madame Gorman (Valeria Bruni Tedeschi) ein heißes Bad einlässt und ihn mit Zuneigung überschüttet, denn für ihren Sohn wünscht sie sich nichts mehr als einen "guten Freund".

Ozon teilt Alexis' rauschgoldhaft verzierte Idealisierung des Liebhabers

Die beiden werden schnell mehr als nur Freunde. Dazu strahlt der Atlantiksommer in den ausbleichenden Farben einer alten Fotografie, einer sentimentalen Erinnerung. Gehen sie ins Kino, filmt Ozon David und Alexis im Gegenlicht des Projektors, wie gleißende Lichtgestalten. Gehen sie in die Diskothek, hat Alexis auf einmal Kopfhörer auf und tanzt zu seinem eigenen Film - als würde er später das, was wir sehen, zum Soundtrack alter Tage noch einmal vor seinem inneren Auge vorbeiziehen lassen. Was sich im Bett zwischen den beiden abspielt, verrät Alexis uns nicht, nur eines: Die erste Nacht mit David war die schönste seines Lebens.

Schließlich betritt die Engländerin Kate die Bühne, schläft mit David und wird zum dritten Rad am Wagen, was zu Zerwürfnissen zwischen Alexis und David und schließlich zu dessen Tod führt. Später erklärt Kate, dass Alexis weniger David vermisst als eine Idee von ihm. Sie hat recht, aber das ändert nichts daran, dass Ozon Alexis' rauschgoldhaft verzierte Idealisierung des verstorbenen Liebhabers teilt. Der französische Autorenfilmer identifiziert sich oft mit der subjektiven Wahrnehmung seiner Hauptfiguren, die wahnhaft mit der sie umgebenden Realität verschmilzt. Weswegen seine Filme mit der Interessantheit seiner Protagonisten stehen und fallen. Sind die Figuren hinreichend wahnsinnig, sind es auch die filmischen Resultate, wie "Sous le sable" oder "Der andere Liebhaber". Wenn Alexis jedoch am Ende auf Davids Grab tanzt, um ein dem Toten gegebenes Versprechen einzulösen, wirkt das eher peinlich und unbeholfen. Wer in seinem Alter würde nicht zu Übertreibungen neigen? Letztlich ist Alexis weit mehr von seiner eigenen Verrücktheit überzeugt, als dass er es wirklich wäre. Über seine Amour fou wird der junge Mann, auch daran lässt Ozon keinen Zweifel, schnell hinwegkommen. Also doch nur ein Sommerflirt.

Été 85 , Frankreich 2020. - Regie: François Ozon. Buch: Ozon, nach einem Roman von Aidan Chambers. Kamera: Hichame Alaouie. Mit Félix Lefebvre, Benjamin Voisin, Valeria Bruni Tedeschi. Wild Bunch/Central, 90 Min.

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