Süddeutsche Zeitung

Schwarz-Weiß-Fotos aus New York:Der andere Kubrick

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Ein Bildband zeigt den großen Regisseur Stanley Kubrick von einer bislang wenig bekannten Seite: als Fotograf im sterbensschönen Halblicht der Straßen von New York.

Von Willi Winkler

Ein Regisseur sei gestorben, dafür ein Fotograf geboren, ging im Jahr 1975 die Klage, als Stanley Kubricks Film "Barry Lyndon" in die Kinos kam, traumhaft schöne Bilder, inszeniert in der Art alter Meister, aber alle so kalt, so tot. Reinhard Baumgart, der den Film in London sah, gestand damals in der Süddeutschen Zeitung, dass ihm beim Verlassen des Kinos Tränen in die Augen gestiegen seien, als er draußen einen ganz gewöhnlichen roten Bus sah.

Aber Kubrick, 1928 in New York und nicht völlig arm geboren, hatte bereits in der Schulzeit zu fotografieren begonnen. Der Vater schenkte ihm eine Graflex, die Kamera der Polizeireporter, die sich um die grausigsten Bilder vom Tatort balgten. Stanley Kubrick studierte die Fotos von Arthur "Weegee" Fellig, der auf kontraststarke New Yorker Mordopfer und Autounfälle spezialisiert war. "Dr. Seltsam", der 1964 in die Kinos kam, erst recht ein Massaker, inszeniert mit der Schadenfreude des staunenden Kindes, endete ursprünglich mit einer großen Tortenmassenvernichtungsschlacht, die Kubrick seinen Lehrmeister Weegee drehen ließ.

Seine späteren Filme "2001: Odyssee im Weltraum" und "Clockwork Orange" schwelgen nur scheinbar im Farbenrausch, Kubrick bleibt der Bild-Regisseur, als der er unmittelbar nach Kriegsende in den Straßen von New York begonnen hat.

Der Bildband "Through a Different Lens: Stanley Kubrick Photographs" ( Taschen Verlag, Köln 2018 , 328 Seiten, 50 Euro), der auf einer Ausstellung im Museum of the City of New York beruht, die noch bis zum 28. Oktober zu sehen ist, baut auf die Überraschung, dass es diese "andere Linse", dass es einen anderen Kubrick gegeben haben könnte.

Lang vor "2001" und "Shining" arbeitete er für Zeitungen, vor allem für Look, fand und fingierte Alltagsszenen mit erschöpften Liebespaaren, ausgelassenen Tänzern, selbstbewussten Rednern.

Der junge Meister ließ Artisten balancieren, Boxer schwitzen und beobachtete Matronen, die auf der Rennbahn wetteten. Wenn er den sterbensschönen Montgomery Clift im vermeeresken Halblicht präsentiert, dann zeigt er den Existenzialismus bei seiner einmaligen Bodenberührung, schwarz und weiß, 1949 in Amerika.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2018
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