Süddeutsche Zeitung

Pop:Bowies letztes Album

Lesezeit: 4 min

Noch in der vergangenen Woche veröffentlichte der Musiker sein 25. Album "Blackstar". Es strahlt den ganzen schönen Glanz eines gelungenen Wagnisses aus.

Albumkritik von Jan Kedves

Dieser Text erschien erstmals am 7. Januar 2016. Anlässlich des Todes von David Bowie präsentieren wir ihn nun erneut.

David Bowie rappt jetzt! Das wäre ein hübsch reißerischer Einstieg in diese Kritik des neuen Bowie-Albums, dessen Veröffentlichung sich der Meister zu seinem 69. Geburtstag an diesem Freitag sozusagen selbst schenkt. Aber so falsch wäre die Behauptung gar nicht. Denn auf "Girl Loves Me", dem fünften Song auf "Blackstar" (Sony), lässt das große Orakel des Pop, das man bislang mit so einigen Musikrichtungen in Verbindung brachte (Rock 'n' Roll, Glam-Rock, Disco- und Power-Pop), nur eben nicht mit Hip-Hop, zu schweren Beats und Gummiband-Bässen Vokabeln fallen, die vor allem im Rap gebräuchlich sind: "Homie" (Kumpel), "real bad dizzy snatch" (naja, eher unfeine Charakterisierung einer Frau), "Who the fuck's gonna mess with me?!" (Wer bitte will sich hier mit mir anlegen?!). Es ist zwar nicht wirklich Rap, was Bowie da macht, aber zu behaupten, er würde diese angriffslustigen Zeilen der ersten Strophe singen, wäre auch falsch. Sprechgesang trifft es wohl.

Richtig Hip-Hop-mäßig wird dieser Sprechgesang, wenn Bowie jeweils die letzte Silbe jeder Zeile nach oben überschlagen lässt - wie wenn Blechbläser kieksen. Man könnte auch an Rihanna oder Kanye West denken, die in ihren jüngeren Hits ebenfalls das Ende jeder Zeile hochziehen, als wollten sie "Upspeak" üben, jene unter jungen Amerikanern und Amerikanerinnen verbreitete Sprach-Intonation, in der jeder Aussagesatz klingt wie eine Frage. Hat Bowie zuletzt also viel Hip-Hop gehört und sich mit linguistischen Jugendtrends beschäftigt? Er gibt seit fast zehn Jahren keine Interviews mehr, man kann ihn also schlecht fragen. Klar ist aber, dass "Girl Loves Me" ein großartiges, ziemlich irritierendes Stück Popmusik ist und so fesselt, dass man die eigentliche Frage fast vergisst: Ist das nicht doch ziemlich peinlich?

Nein, nicht mal als B-Boy ist Bowie peinlich. So wie es auch nicht peinlich ist, wenn auf "Blackstar" in fast jedem Song ausgedehnte, free-jazzige Saxofon-Soli zum Einsatz kommen. Der New Yorker Saxofonist Donny McCaslin hat sie eingespielt, oder: mit hochrotem Kopf herausgepresst, so klingt es jedenfalls. Und es ist auch nicht peinlich, wenn in "Sue (Or in a Season of Crime)" das Schlagzeug so rasend durchtrommelt und zischelt, dass man nicht anders kann, als an Drum'n'Bass zu denken, jene eher schlecht gealterte High-Speed-Klubmusik aus den Neunzigern.

Das Ziel von "Blackstar": Rock 'n' Roll vermeiden

Drum'n'Bass führte 1997 zu "Earthling", dem Werk aus der zusammen mit "Blackstar" nun 25 Studioalben umfassenden Bowie-Diskografie, das wohl am schlechtesten gealtert ist.

Dass Bowie sich auf seinem neuen Album trotzdem noch mal an nervös verkantete Polyrhythmen heranwagt, diesmal allerdings weniger elektronisch, zeugt von einigem Mut. Überhaupt scheint es, als habe Bowie zu seinem ewigen Produzenten Tony Visconti gesagt: "Tony, jetzt bin ich durch diese weltweit durch die Museen tourende Victoria-&-Albert-Retrospektive schon so komplett durchhistorisiert, unser letztes Album war auch recht konventionell, und andere Leute spielen mich jetzt sogar schon in meinen eigenen Musicals - ich komme mir immer mehr wie ein Denkmal vor. Ich will mal wieder was richtig Exzentrisches machen!" So könnte das gewesen sein. Visconti sagte in Interviews auf jeden Fall, das Ziel von "Blackstar" sei in erster Linie gewesen, "Rock 'n' Roll zu vermeiden". Das ist gelungen.

Weiter sagte Visconti, man habe während der Aufnahmen viel Kendrick Lamar gehört. Also tatsächlich: Rap als Inspiration. Man sei beeindruckt gewesen von der Offenheit, mit der der Rapper aus Los Angeles auf seinem Album "To Pimp A Butterfly" alles Mögliche untergebracht habe, nicht einfach nur Hip-Hop. Nun wird "To Pimp A Butterfly", das in nahezu sämtlichen Bestenlisten des vergangenen Jahres ganz vorne landete und für seine raffinierten Jazz-Samples gefeiert wurde, vor allem thematisch zusammengehalten: Es geht ums Schwarzsein in den USA heute.

Einen solchen inhaltlichen Faden gibt es auf "Blackstar" nicht: Die kryptische, raffiniert aus zwei verschiedenen Stücken zusammengeschobene Single "Blackstar" beschäftigt sich (laut Donny McCaslin) mit ISIS; in "'Tis A Pity She Was A Whore" besingt Bowie seinen Penis; "Lazarus" handelt davon, dass er im Himmel weit oben ("high") auf einer Wolke sitzt und - ups! - sein Handy fallen lässt. Tja. Man wäre damit bei der Frage, was das Album dennoch zusammenhält?

Schwerelos weit und doch alles verschluckend

Erklärung Nummer eins wäre natürlich: David Bowie eben, das ewige Pop-Genie! Aber die Beweise, dass das im Zweifel auch mal doch nicht genug sein kann, sind zu zahlreich. Deswegen muss hier unbedingt auch noch von Viscontis Sound-Design die Rede sein. Es steht nämlich in größtmöglichem Kontrast zum austauschbaren, extrem dichten Brutalo-Klang zeitgenössischer Radio- und Chartmusik, für die in der Regel jede einzelne Tonspur so optimiert wird, dass sich sogar jedes Wispern problemlos durchsetzt. Es dürfte deshalb kein Zufall, sondern von Visconti mit voller Absicht so eingerichtet worden sein, dass auf "Blackstar" einzelne Spuren total übersteuert und seltsam gequetscht klingen, fast so als wären sie schlecht aufgenommen worden. Während andere Spuren - vor allem jene mit Bowies Gesang - majestätisch im Raum schweben.

Das ergibt dann kein homogen maximalistisches Klangbild, sondern ein recht paradoxes: schwerelos weit und doch seltsam alles verschluckend - wie etwa beim nahtlosen Übergang zwischen "Dollar Days" und "I Can't Give Everything Away". Da schält sich aus den luftig aufgetürmten Streicher- und Gitarren-Echos des einen Stücks ein schwabbelig verzerrter Drum-Maschine-Beat hervor, über den sich dann der neue Song rollt, samt Mundharmonika. Bowie-Historiker werden in ihr natürlich eine Anspielung auf die Mundharmonika in Bowies Song "A New Career In A New Town" (der sich auf dem 1977 erschienenen Album "Low" befindet) erkennen.

Alles in allem muss man also sagen: wunderbar! Das Album nimmt einen vollkommen ein, und man ist ziemlich überrascht, wenn es nach nur 41 Minuten und gerade mal sieben Songs recht unvermittelt endet. Ist das ein Zugeständnis an die ungeduldigeren Hörer des digitalen Zeitalters, Stichwort: verkürzte Aufmerksamkeitsspanne?

Wohl kaum. Die frühen, also die guten Bowie-Alben waren schließlich allesamt kurz, manche dauerten sogar nur 38 Minuten, wie 1972 zum Beispiel "The Rise and Fall of Ziggy Stardust". 50 Minuten, oder mehr als eine Stunde gab's erst ab Mitte der Achtziger, als Bowie etwas glückloser operierte und sich dann auch gern mal verfranste. Jetzt ist das Glück zurück. Und "Blackstar" strahlt den ganzen schönen Glanz eines gelungenen Wagnisses aus.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2016
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