Süddeutsche Zeitung

"Nope" im Kino:Über den Wolken

Lesezeit: 4 min

Seit seinem Geniestreich "Get Out" hat der Regisseur Jordan Peele alle Freiheiten in Hollywood. Das führt jetzt leider zu seinem Film "Nope".

Von Tobias Kniebe

Im Fernsehstudio in Los Angeles blinken noch die "Applaus"-Zeichen, doch das Publikum ist längst nicht mehr da. Auf der Bühne stehen die Kulissen einer Sitcom, einer Komödie der harmlosen Art. Darin liegen Schauspieler auf dem Boden, sterbend oder schon tot. Ein Schimpanse mit blutbefleckten Armen schnaubt wütend und schaut grimmig in die Scheinwerfer. Etwas Schreckliches ist passiert.

Schrecklich ist auch der nächste Moment, auf einer Wüstenranch im Agua-Dulce-Tal, weit außerhalb der Stadt. Ein alter Schwarzer und sein erwachsener Sohn, beide Pferdetrainer, sind draußen auf den Koppeln, da braut sich über ihnen, jenseits der Wolkendecke, etwas zusammen. Dann pfeifen kleine metallische Alltagsgegenstände, wie Schlüssel und Münzen, aus den Wolken herab. Sie schlagen ein mit der Wucht von Gewehrkugeln. Der Alte wird getroffen und stirbt.

Zu sagen, dass man nach diesen ersten Szenen von "Nope" atemlos gespannt wäre, ist fast untertrieben. Denn der Erzähler, der uns hier mit dem Unerklärlichen konfrontiert, ist Jordan Peele. Ein schwarzer Filmemacher, der sich mit seinem Filmdebüt "Get Out" einen Ruf wie Donnerhall erarbeitet hat. Halbversteckte Rassismen im Haus der Schwiegereltern, peinigend genau beschrieben, die dann in ein veritables, unvergessliches Horrorstück umschlugen. Der Nachfolger war "Us", ebenfalls wunderbar creepy. Jetzt liegt ihm Hollywood zu Füßen, und der Himmel ist die Grenze seiner Fantasie. Wortwörtlich.

Der Himmel ist aber auch die Grenze unserer Erwartungen - so weit gespannt wird hier der Bogen des Grauens. Ein zugerichtetes Fernsehtier, das die Menschen vor der Kamera zuverlässig erheitert hat, zeigt plötzlich todbringende Wildheit. Was hat sie zum Ausbruch gebracht? Und wie könnte diese dunkle Macht zusammenhängen mit jenem Phänomen über den Wolken, das den Inhalt menschlicher Hosentaschen auszuspeien scheint, mit fast göttlicher Wucht?

Der Urahn war ein schwarzer Stuntman - ein vergessener Held Hollywoods

Man stellt sich die Antwort als einen Schrecken kosmischer Vernetzung vor, der das ganze Universum erfasst. Zunächst aber verengt sich der Blick auf die Rancherfamilie am Rand der Wüste. Sie liefert Pferde für Filmdrehs, schon seit Beginn des Kinos. Der galoppierende Reiter, der auf einer der Serienaufnahmen von Eadweard Muybridges berühmten "Animal Locomotions" zu sehen ist, war anscheinend ihr Urahn - einer der vergessenen People of Color in der Geschichte Hollywoods. Hier scheint das Politische bei Jordan Peele wieder auf, aber nur kurz.

Als Nächstes fällt auf, dass nach der ungewöhnlichen Todesart des alten Ranchers - das Himmelsgeschoss, das in seinem Gehirn eingeschlug, war eine kleine runde Fünf-Cent-Münze - seine Kinder keinerlei Hilfe von außen suchen. Niemand spricht mit ihnen darüber, wie das physikalisch überhaupt möglich war. Auch die Ärzte im Krankenhaus , die dem Sohn die Münze nach der Obduktion aushändigen, stellen keine weiterreichenden Fragen, und schon gar nicht die Polizei.

Wie kann das sein? Es kann deshalb sein, weil Jordan Peele das hier so will. Normale Fragen, mit denen Geschichtenerzähler sich so herumschlagen müssen, sind ihm erkennbar egal. Vor allem will er die Zivilisation außen vor lassen. Es geht um die wenigen Menschen in diesem Tal, die von dort auch nicht mehr wegkommen, um eine Art Belagerungssituation wie im alten Western - und um das Unheil, dass sich über ihnen in den Wolken eingenistet hat.

Die Figuren sind eher Skizzen, schlecht motiviert für das letzte Gefecht

Diese Menschen, das sind vor allem O. J. und seine Schwester Emerald, die Kinder des toten Ranchers. Er wird vom "Get Out"-Star Daniel Kaluuya gespielt, schweigsam, grüblerisch, vom Pflichtgefühl fürs Familienerbe getrieben. Sie wird von Keke Palmer dargestellt, als eine Labertasche, die irgendwelche Zurücksetzungen aus der Kindheit kompensiert. Beide sind aber eher Skizzen als vollständige Figuren, schlecht motiviert für eine Art Western-Gefecht um ein staubiges Fleckchen Erde.

Und so begreift man langsam, dass hier eine gewisse Nachlässigkeit herrscht, vielleicht auch ein Mutwille, man könnte es Chuzpe nennen. Der mörderische Schimpanse, mit dem der Film beginnt, erweist sich zum Beispiel als völlig nebensächlich. Seine Bluttat ist nur sehr nachlässig mit dem Rest der Handlung verknüpft. Unerklärliche kosmische Energien, in die er eingebunden wäre und auf deren Enthüllung man hofft? Nope.

Die grenzenlose Freiheit nach einem Sensationserfolg - warum tut sie so vielen Filmemachern nicht gut? Jordan Peele ist da leider keine Ausnahme. Sein Budget erlaubt es ihm, die ganz große Bastelkiste aufzumachen und eine Art Hommage an den Steven Spielberg der "Unheimlichen Begegnungen" zu inszenieren, da zeigt sich seine Begabung. Anders als sein Vorbild glaubt er aber offenbar, dass er auf starke Figuren und eine packende Geschichte verzichten kann, und dass man ihm schon verzeihen wird, wenn er dieselbe Sequenz immer wieder bringt, nur jedes Mal noch größer.

Die Auflösung ist zwar schon überall, aber wer den Film ganz unschuldig sehen möchte, sollte an dieser Stelle - Spoilerwarnung! - stoppen. Denn es ist leider doch recht banal: Hinter den ominösen Wolken über dem Felsental, das immerhin spektakulär fotografiert ist, von Christopher Nolans Kamerazauberer Hoyte van Hoytema, kommt irgendwann eine fliegende Untertasse zum Vorschein.

Ein veritables Ufo möchte man sie gar nicht nennen, denn sie sieht aus, als wäre sie aus einem B-Picture der Fünfzigerjahre entflogen. Sie saugt Menschen und Pferde ein, um sie irgendwie zu verdauen, und spuckt nur Metall und Plastik wieder aus. Im Ernst? Yep, ganz im Ernst. Und das macht die beiden Geschwister, die das kosmische Ding erst nur filmen und damit reich werden wollen, irgendwann dann doch stinkwütend. Auf zum Showdown!

Wenn das von Grund auf als unschuldiger, lustiger, etwas hanebüchener Spaß angelegt wäre, hätte es vielleicht funktionieren können. Jordan Peele kann aber mehr, und wollte wohl auch mehr erzählen: über die Brutalität des Showgeschäfts, das Wesen des Spektakels und unsere Gier nach Sensationen. Nur scheint er seinen Plan mittendrin wieder vergessen zu haben. Vielleicht hat ihn das Ufo hypnotisiert. Zu hoffen bleibt, dass er sich selbst bald wieder mehr herausfordert. Die Kritiker, die ihm bei "Nope" mehrheitlich noch zujubeln, tun es derzeit nicht.

Nope , USA 2022 - Regie und Buch: Jordan Peele. Kamera: Hoyte van Hoytema. Musik: Michael Abels. Mit Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun. Universal, 131 Minuten. Kinostart: 10. 08. 2022.

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