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NDR: Skandal um Vetternwirtschaft:Tatort ARD

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Vetternwirtschaft beim NDR: Doris Heinze, Leiterin der Fernsehfilmabteilung, kaufte Drehbücher bei ihrem Mann, die dieser unter dem Pseudonym "Niklas Becker" schrieb. Jetzt steht ihre fristlose Kündigung bevor.

Nicolas Richter und Hans Leyendecker

Was ist wahr, was ist unwahr; was ist Realität, was ist Erfindung? Mit solchen Fragen hatte Doris J. Heinze, die sehr einflussreiche Leiterin der Fernsehfilmabteilung des Norddeutschen Rundfunks (NDR), von Berufs wegen zu tun.

Besonders viel Spaß mache es ihr, sagte sie einmal, selbst als Drehbuchautorin "in die Welt der von mir erfundenen Figuren einzutauchen" und mit ihnen nach Belieben zu verfahren: "Wenn ich also jemanden nicht mehr leiden kann, dann ereilt ihn oft ein böses Schicksal".

Jetzt ist der mit vielen Preisen ausgezeichneten Managerin ihr Faible für die Fiktion zum Verhängnis geworden, aber Schicksal war es nicht. Der NDR trennte sich am Donnerstag von der leitenden Mitarbeiterin. Sie wurde mit sofortiger Wirkung suspendiert, der Sender strebt eine fristlose Kündigung an. Der NDR reagierte mit der Entscheidung auf die Ergebnisse interner Untersuchungen. Diese waren durch Recherchen der Süddeutschen Zeitung ausgelöst worden.

Die 60-Jährige hatte jahrelang ein System der Vetternwirtschaft betrieben. Sie nahm Filmstoffe an, die von ihrem Ehemann oder sonst ihr nahestehenden Personen eingereicht wurden. In den Jahren 2001 bis 2009 erhielt ihr Mann fünf Drehbuchaufträge für Fernsehfilme, die er unter dem Pseudonym "Niklas Becker" schrieb. Niemand beim NDR wusste angeblich, dass Becker ihr Ehemann war.

In ARD-Presseheften wurde eine erfundene Biographie des Autors Becker veröffentlicht, der in Übersee lebe. NDR-Intendant Lutz Marmor erklärte, gegen "unlauteres Verhalten" gebe es keinen absoluten Schutz. Der Fall sei "gravierend" und müsse "vollständig und umfassend" aufgeklärt werden.

Eine Kommission aus Mitgliedern der Revision, der Personalabteilung und des Justiziariats hatte sich tagelang mit der Personalie Heinze beschäftigt. Die Gruppe geht auch dem Verdacht nach, dass es möglicherweise durch sogenannte Ausbuchungen zu Betrügereien gekommen sein könnte.

Die SZ hat beispielsweise Hinweise, dass für nicht existierende Drehbücher Geld gezahlt worden sein könnte. Dies würde den Tatbestand des Betrugs erfüllen. Die ehemalige Leiterin der Fernsehfilmabteilung bestritt vehement diese Verdächtigungen und erklärte, derartige Unregelmäßigkeiten gebe es nicht.

In die Affäre sind mindestens zwei deutsche Produktionsfirmen verwickelt; darunter die zur MME Moviement AG gehörende Münchner AllMedia Pictures GmbH. Das Management ordnete an, dass der Vertrag der mit Heinze-Produktionen beschäftigten Mitarbeiterin bei AllMedia mit sofortiger Wirkung ruhen solle. Eine weitere Mitarbeiterin wurde bis auf weiteres von ihrer Tätigkeit freigestellt. Beide haben keinen Zugang mehr zu den Büros, weil die Räume neue Türschlösser bekamen und die Schlüssel bei einem Anwalt hinterlegt wurden.

Die filmreife Aufarbeitung der jüngsten Affäre beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hängt mit dem Hang der Beteiligten zu spannenden Stoffen, aber auch mit der Person der Hauptverdächtigen zusammen.

Doris J. Heinze war eine Art Ikone des Fernsehspiels. Ihr unterstanden beim Sender die Tatort-Kommissare und die Ermittler des Polizeirufs 110. Außerdem steuerte ihr Ressort jedes Jahr mehr als ein Dutzend Fernsehfilme zum Programm der ARD bei und betreute einzelne Produktionen für N3.

Heinze unterhält gute Kontakte zu etlichen Stars, unter ihnen Schauspielerinnen wie Veronica Ferres oder Maria Furtwängler, die als Kommissarin im NDR-Tatort ermittelt.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2009
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