Süddeutsche Zeitung

Musik von "Kraftklub":Loser aus dem Osten

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Sie wollen nicht nach Berlin, sie sind zu jung für Rock 'n' Roll und ihre Eltern kiffen mehr als sie selbst: Was die Jungs der Chemnitzer Band "Kraftklub" aus diesen spärlichen Voraussetzungen gemacht haben, ist erstaunlich überzeugend. Und dann doch sehr Rock 'n' Roll. Mit ihrem Debütalbum stiegen sie nun von null auf Platz eins in die Charts. Am stärksten sind sie aber live.

Ruth Schneeberger

Nun geht das wieder los, dass altbekannte Schubladen geöffnet werden. Um Worte für eine Musik zu finden, die man so noch nie gehört hat, von der jetzt aber alle wissen möchten, was sie ausmacht. Plötzlich müssen auch alle Radio- und Musiksender unbedingt ein Interview führen mit der Band Kraftklub aus Chemnitz. Peinlich berührt sieht man die fünf Jungs da sitzen und versuchen, möglichst unverbrauchte Antworten zu geben auf die immer selben Fragen. Was soll man 22-Jährige auch fragen, die so unverblümt und unvermutet alles hinter sich lassen, was da seit Jahren auf deutschen Bühnen und in deutscher Sprache kreucht und fleucht?

Kraftklub, so viel ist jetzt schon sicher, waren der deutsche Überraschungserfolg des Jahres 2011. Neben den anderen erfolgreichen Newcomern, US-Sängerin Lana Del Ray auf dem internationalen Markt und dem Deutschen Tim Bendzko, der nur mal kurz die Welt retten wollte, ragt die Band wohltuend hervor, weil sie vor allem eines ist: kraftvoll.

Der Bandname ist also wohlgewählt, und in seiner Reminiszenz an die westdeutsche Band Kraftwerk und das ostdeutsche Kultgetränk "Club"-Cola auch selbst schon wieder kultverdächtig. Versteckte sich hinter dem Auftritt nur ein Bluff, wäre der Name an sich schon witzig. Doch was die fünf Bandmitglieder Ende vergangenen Jahres auf deutschen Bühnen ablieferten, war alles andere als ein müdes Abziehbild all dessen, was es in der Musik schon einmal gab, mit den immer selben Posen, Attitüden, Weltanschauungen und Klängen. Was Kraftklub ausmacht, ist auch nicht wirklich neu, aber es ist im besten Sinne: frisch.

"Wir machen Sex auf Deutsch", beschreibt Frontmann Felix Brummer nur scheinbar anmaßend das Party-Programm. Relativ klassische, schnelle, harte Rock- und Popmusik im Stil der achtziger Jahre, unterlegt mit deutschem Sprechgesang, ein bisschen Punk, eine Mischung aus Indie und Rap - mit diesem Mix hat es die Band gleich nach Erscheinen ihres Debütalbums mit dem schlichten Namen Mit K Ende Januar nun gleich von null auf Platz eins in die deutschen Charts geschafft.

Dabei war das, was sie letzendlich so bekannt gemacht hat, ihr kräftig mit dem Fuß aufstampfendes Lied Ich will nicht nach Berlin, eigentlich nur die Antwort auf die ersten Erfahrungen der jungen Band mit dem Musikbusiness.

Als Kraftklub nach der Veröffentlichung ihrer EP Adonis Maximus vor genau einem Jahr in Chemnitz beim Publikum sofort Erfolge feierte, im September den Radiopreis "New Music Award" gewann und bei Stefan Raab zu Gast war, wurden die größeren Plattenlabels auf sie aufmerksam - und führten Verhandlungen. Die Chemnitzer müssten nun schon nach Berlin ziehen, hieß es da. Das wollten sie aber nicht. Zu stylish, zu viel Hauptstadt-Hype, zu viele Wichtigtuer und Hipster für ihren Geschmack.

Was also tun? Kraftklub verpackten ihren trotzigen Rückzug in einen besonders kraftvollen Song - und starteten damit erst richtig durch. Der Song wurde auf sämtlichen Indie-Radio-Stationen zur Anti-Hipster-Hymne und überall rauf und runter gespielt. Weil er Berlin und den Rest der deutschen Welt genau zu dem Zeitpunkt erreichte, als Wowereits Hauptstadt-Slogan "arm aber sexy" anfing, zu nerven. Wer das schon verspürte, aber noch nicht so recht in Worte fassen konnte warum, für den wurde das Lied zur Hymne gutgelaunter Rebellion - und trotziger Ausdruck eines Selbstbewusstseins vermeintlich Benachteiligter: Kraftklub sind jung, sie stammen aus dem Osten der Republik, sie wären wohl so etwas Ähnliches wie arbeitslos - wenn sie nicht zufällig gerade Rockstars wären.

Wer die Band bei einem ihrer jetzt schon legendären Live-Auftritte mal erlebt hat, kann sich kaum erwehren, Fan zu werden. So viel Spaß an der Musik und an ihrer neuen Rolle als Superstars der Newcomerszene ist schlicht ansteckend - da wird auch der härteste Kritiker weich. Wem anfangs noch auffallen mag, dass der Frontmann etwas zu plakativ Achtziger-Jahre-mäßig den rechten Unterarm schwenkt, dass mit Hosenträgern, Poloshirts und Collegejacken hier eine Arbeiterjugend posiert, die noch nie gearbeitet hat - außer an ihrem Image als Rockstars -, dass der Sänger auf der Bühne zwar die Rampensau rauslässt, ein paar Schritte abseits der Bühne aber schon sehr klein und blass wirken würde, wenn da nicht die Heerscharen weiblicher Fans wären, die sich bereits um ihn ranken - spätestens mit dem zweiten Song werden all diese kleinkarierten Überlegungen schier weggefegt. Denn diese Details können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kraftklub mit ihrer Bühnenshow den wohl hinreißendsten Auftritt des Jahres 2011 ablieferten - zumindest bei ihrem Konzert in München.

Das neue Album vereint nun den Berlin-Song und weitere Lieder, die Fans schon seit Monaten auf den Konzerten mitgrölen, mit ein paar neuen Perlen. Kraftklubs Sprache ist genauso einfach und kraftvoll wie ihre Musik, dazu mit steilen Thesen und einem Wortwitz unterlegt, der nicht allzu hintersinnig, dafür umso überraschender ist - und immer eingängig.

Es braucht gar keine angestrengten Werbesätze wie den Ihrer Plattenfirma Universal: "Kraftklub sind das Sprachrohr einer ganzen Generation. Denn man muss sich nur mal umgucken. Nicht nur der Osten, nein, das ganze Land ist voll von Verlierern, die Sinnsuche, Mittellosigkeit und hedonistische Entgleisung in Lebensentwürfe übersetzen. Diese Band zeichnet Generationenportraits zwischen historischer Dekontextualisierung und Analfixierung, zwischen Über-Ironisierung und schonungslosem Realismus." Die Band benötigt diese Überhöhung nicht. Kraftklub hat selber die besten Lyrics verfasst, um sich selbst zu beschreiben. Das klingt mal nach Hybris, mal nach Downsizing, mal nach der üblichen Rapper-Haltung und mal nach Verweigerung - und genau zwischen diesen Antipoden ist ihre Musik auch anzusiedeln.

Wenn eine ihrer Liedzeilen lautet, "Die besten Witze sind die, die keiner versteht", ist das ihrer Attitüde geschuldet, die da lautet: Ihr müsst uns nicht vergöttern, wir sind sowieso die Loser aus dem Osten, aber wir sind stolz darauf, nicht zum hirnlosen Mainstream zu gehören.

Dein Leben läuft gut, mein Leben läuft Amok

Weitere Zeilen wie "Glückliche Menschen sind nicht interessant" oder "Mein Leben bringt mich irgendwann um" gehören zu den so schlichten wie eingängigen Weisheiten, die die Band zu verkünden hat. Die zeigen, dass sie die Welt recht genau beobachten - und ein paar traurige Wahrheiten mit Humor nehmen. Darüberhinaus gibt es eine ganze Reihe teils skurriler Formulierungen, die mit dem Loser-Image der Band aus dem Osten spielen und es bisweilen prächtig in sein Gegenteil verkehren: "Bin ich allein, weiß die Welt nicht, wie ich heiß', liege ich in einer Badewanne voller Selbstmitleid". "Dein Leben läuft gut, mein Leben läuft Amok." "Ihr druckt uns nicht ab, weil wir zu oft Scheiße sagen." Aber auch: "Heidi Klum castet die Groupies für uns." Oder: "Es tut mir leid, aber MTV ist nicht meine Religion - beziehungsweise wenn, dann ist Gott ein Klingelton."

Was noch einigermaßen pubertär klingt, wenn man die Zeilen nur liest, verliert seine Unschuldigkeit und Naivität, wenn Frontmann Felix es in die Welt schreit. Unterlegt mit peitschendem Indierock kommen manche Lieder so gewaltig daher, dass man schon fast erwarten würde, dass die Texte darin untergehen - aber das ist nicht der Fall.

Und so grölen die Fans euphorisiert mit oder fühlen sich persönlich angesprochen, wenn der Frontmann ganz unromantisch aber sehr begeistert von seiner aggressiven kleinen Schwester singt ("Deine Schwester isst ein bisschen Salat, meine Schwester ist ein bisschen verrückt"), von Liebeskummer über die Freundin, die zum Studieren nach Frankfurt gezogen ist, vom elenden Winter, in dem man draußen keinen Döner essen kann, oder einfach davon, wie es ist, als junger Mensch in Karl-Marx-Stadt zu leben, zwischen Rentnern und Neonazis - nämlich abgesehen davon durchaus lebenswert.

Mit einem Wort: Man darf die inzwischen schon fast berühmt gewordene Anti-Berlin-Hymne ruhigen Gewissens mitgrölen, selbst wenn man ein Berliner ist. Die Berlin-Auftritte der Band haben übrigens gezeigt, dass ihr auch dort keiner irgendetwas übelnimmt. Und wenn die Bandmitglieder ihr ungestümes Wesen erhalten und es schaffen, ihre Frische zumindest noch eine Zeitlang zu konservieren, dürfte einer guten Zeit für alle Beteiligten wohl nichts im Wege stehen.

Nur in einem Punkt, da muss man Kraftklub widersprechen: So ein richtiges Arschloch scheint ihr Leben doch gar nicht zu sein. In einem Interview dazu befragt, wo die Band sich in fünf Jahren sehe, antwortete Felix Brummer, das sei doch klar, sie würden dann ganz viel Geld verdient haben, drogenabhängig gewesen sein, in RTL-II-Bussen durch Deutschland tingeln, sich gegenseitig verklagen und jeder eine eigene Band gründen. Warten wir's mal ab. Ob sie am Ende nicht doch nach Berlin oder New York oder sonstwohin ziehen und so angepasst werden, wie sie nie sein wollten. Schade wär's.

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