Süddeutsche Zeitung

Jazz:Ein Album voll musikalischer Schulterpolster

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Von Andrian Kreye

Als der damals - und eigentlich immer noch - größte Jazztrompeter der Geschichte Miles Davis 1985 mit seiner Arbeit an dem Album "Rubberband" (Rhino) begann, das jetzt erstmals fertiggestellt wurde und erscheint, fand gerade eine Zeitenwende statt. Mit den damals neuen Schlagzeugcomputern, digitalen Synthesizern und Samplern verwandelten sich die Produzenten von Verwaltern in Regisseure, die mehr musikalische Macht hatten als je zuvor.

Im Hip-Hop hatte der Aufbruch der Maschinenparks noch einen klassenkämpferischen Gestus. Da hatten Nichtmusiker aus sozialen Randgruppen in sehr marxistischem Sinne die Produktionsmittel erobert. In den großen Studios aber war das eher ein Ausdruck des aufbrechenden Neoliberalismus der Reagan-Jahre. Maschinen waren dort Statussymbole. Und sie waren vor allem der Weg, Musik als Produkt zu gestalten, mit all den Fallstricken der Designermoden.

Für Miles Davis war das weniger der Drang nach noch mehr Ruhm und Reichtum. Hatte er beides schon reichlich.

Rückblickend waren der Drumcomputer Roland TR-808 oder das Yamaha Keyboard DX7 so etwas wie musikalische Schulterpolster. Was damals noch als Kraftmeierei beeindruckte, ist mit zunehmendem Abstand nur noch ein kulturelles Relikt. Zu dünn, zu ungelenk wirken die Produktionen mit diesen frühen Digitalmaschinen heute, ähnlich wie die Special Effects der Kino-Blockbuster jener Zeit. Weswegen - das muss man gleich vorwegnehmen - "Rubberband" im Gesamtwerk von Miles Davis noch stärker verblasst als die meisten seiner schwierigen Platten aus den Achtzigerjahren. Auch wenn man die damals noch als Rückkehr des Meisters zur Wucht der Gegenwart empfand. Und auch wenn die Veröffentlichung eines verschollenen Albums seit der Aufregung um die wiederentdeckte John-Coltrane-Platte "Both Directions At Once" im vergangenen Jahr ein eigenes Jazz-Genre geworden ist.

Davis nahm "Rubberband" Ende 1985, Anfang 1986 auf, als er von seiner Plattenfirma Columbia zu Warner Brothers wechselte, was damals von der Kulturberichterstattung als Transferhandel vom Kaliber "Messi geht zu Bayern" behandelt wurde. "Rubberband" sollte Miles Davis' Durchbruch als Popstar werden. Junge Musiker auf der Höhe der Zeit wurden ins Studio geholt, Texte für Gaststars wie Al Jarreau und Chaka Khan geschrieben. Für Miles Davis war das weniger der Drang nach noch mehr Ruhm und Reichtum. Hatte er beides schon reichlich. Ihn interessierte der Zeitgeist, und der fand sich damals auf der Straße, auf der sich Hip-Hop und New Jack Swing etablierten. Beides Genres, die davon profitierten, dass man Programmieren sehr viel schneller beherrschen kann als ein Musikinstrument. Beides perfekte Ausdrucksformen der Postmoderne mit ihrer Dekonstruktion der Authentizität.

Warner-Jazzchef Tommy LiPuma entschied damals, dass "Rubberband" die falsche Richtung für Miles Davis sei. Er unterbrach die Aufnahmen und holte für die Produktion von "Tutu" den Bassisten Marcus Miller, mit dem Davis schon seit 1980 gearbeitet hatte. Und der ähnlich wie die "Rubberband"-Produzenten Randy Hall und Attala Zane Giles enormen Einfluss auf die Musik und das Klangbild nahm.

Hall und Giles haben die unfertigen Aufnahmen nun gemeinsam mit Miles Davis' Neffen Vince Wilburn Jr. fertiggestellt, der damals auch Schlagzeug spielte. Statt Al Jarreau und Chaka Khan singen Leidisi, Medina Johnson, Lalah Hathaway und Hall. Doch trotz der Nachbearbeitung wirken die Grooves zu unbeholfen, die digitalen Achtzigerjahre-Klischees zu matt. Was man aber heraushört, ist, wie schwer sich Miles Davis mit dem Maschinenpark doch tat. Auch wenn er immer darauf beharrte, dass ein Musiker mit Geräten genauso gut spielen könne wie mit einer Band.

Ähnlich wie auf "Tutu" bleibt seine Trompete ein Fremdkörper. Fast unsicher sucht er im viel zu mathematischen Raster der Musik den Weg für den Strahl seines Instruments. Beherrschte er den Funk-Brutalismus seiner Siebzigerjahre-Bands noch souverän von oben, so scheint er da die Kontrolle zu verlieren über eine musikalische Entwicklung, die er verstehen, aber nicht beherrschen konnte. So bleibt "Rubberband" ein Zeitdokument. Eine Wissenslücke schließt sich da nicht.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2019
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