Süddeutsche Zeitung

Neues Album "S&M2" von Metallica:Warum bloß

Lesezeit: 4 min

Vor zwanzig Jahren nahmen "Metallica" ein Album mit den San Francisco Symphonikern auf, eine unheilige Allianz zwischen Heavy Metal und Klassik. Nur: Was war jetzt der Grund, es heute noch einmal zu tun?

Von Nicolas Freund

Der Kreis der Verdächtigen ist zuletzt nicht kleiner geworden. War es am Ende Richard Wagner, der nicht nur die Oper erneuerte, sondern vielen mit seinem hemmungslosen Bombast und Pathos irgendwie als Vordenker des Heavy Metal gilt? Oder doch Nietzsche, der in seiner "Geburt der Tragödie" das rauschhaft Dionysische mit dem träumerischen Apollinischen, das Triebhafte mit dem Göttlichen zusammenbrachte, um den Kampf gegen das Leiden in einer antiken griechischen Lebenswelt nachzuzeichnen, der bis heute fortwirkt? Oder sind einfach Metallica schuld?

Letztere sind in jedem Fall Wiederholungstäter, denn sie haben schon wieder, zwanzig Jahre nach dem Original "S&M", ein Album mit Orchester aufgenommen - pragmatisch "S&M2" (Universal Music) betitelt - und damit die ewige Diskussion neu angeheizt, warum so viele Metal-Bands irgendwann meinen, irgendwas mit einem Orchester machen zu müssen. Und warum das oft so peinlich wird.

Pathos, Bombast und alles eine Nummer zu groß? Es gibt noch ganz andere Parallelen

Solche Projekte stehen ja immer unter Verdacht, einfach reißerisch den klischeehaften Gegensatz zwischen Metal und Klassik ausspielen zu wollen: Bierdosen im Konzertsaal, Streicher auf dem Festivalacker, Krawallbrüder in Lederjacken treffen auf Feingeister, die ungeschützt brachialem Metal ausgesetzt werden. Metallica-Frontmann James Hetfield war ja angeblich mal stolz darauf, dass die Songs seiner Band zur Folter in Guantanamo eingesetzt wurden, und ein bisschen wartet man immer darauf, dass Band und Orchester bei diesen Kooperationen doch noch aufeinander losgehen. Aber dann, siehe da: Die beiden Fraktionen können super miteinander und machen ja sogar irgendwie dasselbe. Irre. Wer hätte das gedacht. Fast wie das Dionysische und Apollinische bei Nietzsche. Und weil das doch irgendwie so vorhersehbar und der Konflikt zwischen Klassik und Metal so konstruiert ist, bleibt schnell nur noch eine Frage: Na und?

Dabei gibt es ja viele Parallelen zwischen Metal und klassischen Stücken für Orchester, die über Pathos, Bombast und die Gewohnheit, alles im Zweifel eine Nummer zu groß zu veranstalten, hinausgehen, und die musikalisch durchaus fruchtbar sein können. Zum Beispiel Iron Maiden legen ihren Songs eine Art Generalbass zugrunde, wie er auch in der Barockoper üblich ist. Komponist Ramin Djawadi, von dem unter anderem der Soundtrack zu "Game of Thrones" stammt, gibt sowohl Wagner als auch Metallica als Inspirationsquelle an. Die finnische Band Apocalyptica begann ihre Karriere 1996 damit, dass sie Metallica-Songs nur mit vier Celli coverten - und das ist noch immer eine erstaunliche Aufnahme. In Bayreuth wurden backstage schon Opernsänger im Slayer-T-Shirt gesichtet.

Metallica haben mit "S&M" die Verbindung aus Metal und Orchester nämlich nicht erfunden, auch wenn ihnen das oft zugeschrieben wird. Deep Purple haben schon 1969 ein "Concerto for Group and Orchestra" aufgenommen, die deutsche Band Rage war mit "Lingua Mortis" 1996 ein paar Jahre vor Metallica im Orchestergraben unterwegs, und die finnische Band Waltari erkannte im selben Jahr mit "Yeah! Yeah! Die! Die! Death Metal Symphonie in Deep C" bereits das komische Potenzial dieser Kombination und stellte in späteren Jahren neben dem Orchester und der Band auch noch ein Ballett auf die Bühne.

Die Neunzigerjahre waren für den Metal ja eine große Krise, alle hörten Grunge oder Crossover und neben Nirvana, Rage Against the Machine und The Prodigy wirkten die harten, langhaarigen Kerle aus den Achtzigern plötzlich ziemlich brav. Die Rückbesinnung auf die Klassik war da eigentlich konsequent.

Metallica haben nun also so getan, als seien inzwischen keine zwanzig Jahre vergangen, und nahmen ihr Orchesterprojekt im vergangenen September in San Francisco einfach noch mal auf. Die Hälfte der Songs ist identisch, ausgetauscht wurde nur der Bassist: Robert Trujillo, der auf Jason Newsted folgte, ist jetzt seit 17 Jahren "der Neue" bei Metallica. Wieder dabei ist das San Francisco Symphony Orchestra, dirigiert aber nicht von dem inzwischen verstorbenen Michael Kamen, sondern von Edwin Outwater und Michael Tilson Thomas. Die haben neben den Arrangements für die Metallica-Songs noch zwei klassische Stücke ausgesucht: einen Satz aus Sergei Prokofjews "Skythische Suite" und "Iron Foundry" von Alexander Mosolov. Das fällt wohl unter Allgemeinbildung für Metalfans - und die beiden Dirigenten erklären, Futurismus und Primitivismus passten ja gut zu Metal.

Das Orchester sorgt für eine Tiefe, die vorher niemand vermisst hat

Ansonsten zeigt sich an dem Album die ganze Bandbreite der Probleme und Glücksmomente, die das Zusammentreffen von Metal und Orchester hat: Die Band ist Stichwortgeber für die klassischen Musiker, die vor allem für eine Art Soundtrack zu den Songs zuständig sind, die Metallica auch sonst ständig ohne Orchester spielen. Im Vergleich zum alten Album wirkt die Band fahrig und, wie sie bei Instagram verriet, trat Hetfield kurz nach dem Konzert seinen zweiten Alkoholentzug an. Akzente setzen kann das Orchester überraschenderweise vor allem bei den neuen Songs wie "Moth Into Flame", denen die Arrangements tatsächlich etwas Ungewohntes entlocken können. Bei den ohnehin schon episch ausufernden Klassikern wie "One" und "Master of Puppets", in die sich die Band in der zweiten Konzerthälfte rettet, sorgt das Orchester für eine Tiefe, die vorher niemand vermisst hat.

In den besten Momenten spürt man hier aber noch das archaische Pathos und die Melancholie, die sich immer gut versteckt durch Metallica-Songs zieht, und die von der Brachialität nur in grobe Bahnen gelenkt wird, weshalb sie so wirkungsvoll ist. Diese rohe Energie, die noch deutlich spürbar ist, aber nicht mehr so stark ist wie vor zwanzig Jahren, verrät nun im Zusammenspiel von Band und Orchester mehr über die Klassik als über den Metal und lässt erahnen, um was es einer Musik einmal gegangen ist, wenn sie die Menschen mit einer grausamen Welt versöhnen wollte.

Der Mensch blickt dann wohl so auf die Welt, wie es Nietzsche über den nüchternen Apolliniker im Angesicht des rasenden Dionysikers schrieb: "Mit einem Erstaunen, das um so größer war, als sich ihm das Grausen beimischte, dass ihm jenes Alles doch eigentlich so fremd nicht sei, ja dass sein apollinisches Bewusstsein nur wie ein Schleier diese dionysische Welt vor ihm verdeckte."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5013185
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.