Süddeutsche Zeitung

Solidarität unter Literaten für die Ukraine:Feuer unterm Dach

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Ja zur Flugverbotszone? Ein Soli-Abend für die Ukraine auf der "Lit.Cologne" nimmt einen eher militanten Verlauf.

Von Alexander Menden

Einen kurzen Kamelle-Moment gibt es auch an diesem Abend, dieser Assoziation kann man sich nicht erwehren, es ist halt Köln. Eine Dame geht klackernd durch den Zuschauerraum und wirft der mit Heiserkeit kämpfenden Russisch-Dolmetscherin Erika Rubinstein ein paar Hustenbonbons zu. Das ist aber wirklich das einzig Karnevalistische im Theater am Tanzbrunnen, bei einer Veranstaltung, die so bis eben noch gar nicht geplant war. "Nein zum Krieg!" steht über der Bühne, der ganze Raum ist in die ukrainischen Nationalfarben gelb und blau getaucht.

Die Lit.Cologne, das den Publikumszahlen nach größte Literaturfestival Europas, findet zum ersten Mal seit 2019 wieder analog statt. Weil aber gleichzeitig in der Ukraine ein Angriffskrieg tobt, hat man zur Eröffnung eine Solidaritätsveranstaltung für das Land ins Programm gehoben. Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker verweist in ihrem Grußwort sogleich mal, eher ungewöhnlich bei solch einem Anlass, darauf, dass Bund und Länder noch nicht genug täten, um die Kommunen bei der Verteilung ukrainischer Geflüchteter zu unterstützen. Und sie wünscht sich, "dass Wladimir Putin wieder mehr liest - wir sollten ihm Bücher schicken, viele Bücher!" Vielleicht hilft das ja, wer weiß?

Es ist verständlich, dass man in einer Ausnahmesituation wie dieser nach Vergewisserung sucht, und die Hoffnung, Rettung in der Literatur zu finden, hat womöglich ihre Berechtigung. Dass sich ein tonal unebener - und mit drei Stunden extrem langer - Abend entspinnt, ist dabei weniger der Kurzfristigkeit der Planung geschuldet, als der Tatsache, dass auch hier niemand eine Lösung parat hat, die man ja auch von niemandem erwarten kann. Auch nicht von dem Panel, das trotz intensiver Bemühungen der Veranstalter keinen ukrainischen Autor aufweist. Dennoch ist es hochkarätig besetzt mit dem Publizisten Navid Kermani, der in Wolgograd geborenen Autorin Sasha Marianna Salzmann, dem belarussischen Romanautor Sasha Filipenko und dem Journalisten und Präsidenten des deutschen PEN-Zentrums Deniz Yücel.

Überzeugung einerseits, plus die heute übliche Lust an der Erhitzung im Diskurs

Der Schauspieler Ulrich Noethen liest zwischendurch mit großer Autorität aus dem in Echtzeit veröffentlichten Kriegstagebuch der in Kiew lebenden Autorin Yevgenia Belorusets - und er trägt den Text "Putin ist geliefert" von Wladimir Sorokin vor, den der russische Schriftsteller in der SZ veröffentlichte. Sorokin selbst sollte auch in Köln sein, ließ sich aber krankheitsbedingt entschuldigen.

Es schiebt sich dann an diesem Abend ein Thema überraschend in den Vordergrund, bei dem sich die Teilnehmer, mit Ausnahme Kermanis, ebenso überraschend einig zu sein scheinen: die Forderung nach einer von der Nato durchgesetzten Flugverbotszone über der Ukraine.

"Das wäre doch eine gute Idee, oder?", fragt etwa Deniz Yücel, zum merklichen Missfallen eines Großteils der Zuschauer. Yücel stört offenkundig die recht gefühlige Moderation der Journalistin Susanne Beyer, von der er sich auch etwas ausgebremst fühlt. Den Bogen von seiner eigenen "Knastgeschichte" in der Türkei zum Ukraine-Krieg, den Beyer ihm anbietet, wischt er weg, und postuliert, die deutsche Beschäftigung mit humanitärer Hilfe sei eine Ersatzhandlung für das, was jetzt mindestens ebenso notwendig sei, nämlich die Verbannung aller russischen Banken aus Swift, eine Verstärkung der Waffenlieferungen - und eben auch die Option einer Flugverbotszone. "Ich wundere mich immer über Leute, die bis zum 24.2. ganz sicher waren, dass Putin auf keinen Fall einen Krieg anfängt, und die jetzt ganz genau wissen, wie er reagieren würde, wenn die Nato andere Saiten aufzieht", sagt Yücel.

Während da neben Überzeugung auch Lust an der Erhitzung des Klimas der Veranstaltung im Spiel sein dürfte, ist bei Sasha Filipenko, der Russland wegen politischer Repressalien verließ und jetzt in Deutschland lebt, eine Mischung aus Wut und Verzweiflung spürbar. In einem Text, den Noethen vorträgt, vergleicht er den Krieg mit einem Fußballspiel, für das Europa zwar Schuhe und Fußbälle zur Verfügung stelle, aber keine Verteidiger, während Putin "ein hässliches Tor nach dem anderen schießt". "Wir müssen zum Angriff übergehen, denn dieses Spiel nähert sich seinem Ende, und wir sind noch viele Tore im Rückstand." Dass derweil auch in Belarus noch immer Demonstranten verhaftet würden, sei hierzulande übrigens völlig vergessen worden, sagt Filipenko. Das ist gleichsam die Selenskij-Haltung, die facettenreichere, dringlichere Innenansicht des Konflikts, von der dieser Abend durchaus noch mehr vertragen hätte.

Sasha Salzmann ist ambivalenter. Sie weiß, und sagt auch, dass die Mehrheit der Deutschen gegen eine Schließung des Luftraums über der Ukraine wäre. Aber zumindest wüssten sie jetzt, wo die Ukraine liege. Salzmann arbeitet sich sozusagen an die endgültige Position heran, sagt, dass sie schon immer ein schlechtes Gefühl beim Gedanken an Putin gehabt und schon vor dem Krieg in ihren linken Kreisen Waffenlieferungen verteidigt habe. "Wollen wir passiv bleiben?" fragt Salzmann. Und wählt als ihr Schlusswort: "Schließt den Himmel über der Ukraine."

Dagegen klingen die Ex-Generäle in deutschen Talkshows wie Friedenstauben

Es ist fast, als sei im Laufe der Debatte aus dem "Nein zum Krieg" ein "Rein in den Krieg" geworden. Und es bleibt Navid Kermani überlassen, auf das hinzuweisen, was im Vergleich überaus gemäßigt klingende Militär-Pensionäre in deutschen Talkshows seit Wochen sagen: dass die Risiken einer von der Nato implementierten Flugverbotszone auch die Bombardierung russischer Flugabwehrpositionen einschließen könnte und die mögliche Eskalation, selbst die konventionelle, unkalkulierbar wäre. Das Lehnstuhlheldentum, das sich in emotionalen und undurchdachten Forderungen nach einem Eintritt der Nato in den Krieg Bahn bricht, steht seltsam quer zur eigentlichen Intention des Abends.

Sicher hat Sasha Filipenko recht, wenn er sagt, dass das Anstrahlen von öffentlichen Gebäuden mit den ukrainischen Farben eher der Selbstberuhigung des Westens dient, Flagge und Solidarität gezeigt zu haben. Genauso recht hat er sicher, wenn er sagt: "Ihr hättet nur Russia Today schauen und Putins Rhetorik ernst nehmen müssen, um zu wissen, dass dieser Krieg unvermeidlich kommen würde."

In Kermanis Lesung aus seinem Buch "Entlang der Gräben" wird klar, dass vor Jahren schon Menschen klarsichtig erkannten, wohin die Reise gehen würde. Der ukrainische Politiker und Aktivist Mustafa Najjem, dessen Facebook-Post ein Auslöser der Euromaidan-Proteste im Jahre 2013 war, habe bei einem Gespräch in Kiew einen engeren Schulterschluss aller europäischen Staaten angemahnt, weil der nächste Krieg ganz bestimmt kommen werde. "Da hielt ein Ukrainer afghanischer Herkunft einem Iraner, der in Deutschland lebt, auf Persisch eine flammende Rede über die Bedeutung des europäischen Gedankens."

Die Einigkeit, die der Ukraine-Krieg hervorgerufen und die auch ihn überrascht habe, müsse nun permanent werden, die europäische Tatenlosigkeit angesichts der Bombardierung von Grosny und Aleppo dürfe sich nicht wiederholen, sonst würden wir immer wieder erleben, "dass rücksichtslosere Staaten über unsere Köpfe hinweg entscheiden", so Kermani: "Stellen Sie sich vor, was wäre, wenn Rumänien und Bulgarien nicht in der EU wären - dann wären sie jetzt auch Teil der 'Pufferzone'."

Wozu sind Veranstaltungen wie die der Lit.Cologne also gut? Zeigen sie, dass Autoren angesichts kriegerischer Aggression auch keine originelleren Ideen parat haben als andere Menschen? Dienen sie der Selbstberuhigung der Anwesenden? All das, klar. Letztlich mag jedoch das Wichtigste, sicher aber das Konkreteste, das Geld sein, das dabei zusammenkommt. Die Einnahmen gehen zur Hälfte an das Pen-Zentrum Deutschland, das sie zur Unterstützung verfolgter Autoren verwenden wird, und an das Blau-Gelbe Kreuz. Der Deutsch-Ukrainische Verein hilft Geflüchteten in Deutschland und schickt Medikamente ins Kriegsgebiet. Da nimmt man einen zwischenzeitlichen Überschuss an heißer Luft in Kauf.

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