Süddeutsche Zeitung

Kunstvereine in der Corona-Krise:"Ich habe zuerst an die Finanzen gedacht"

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Kunstvereine gelten als Erfolgsmodell zur Vermittlung zeitgenössischer Kunst. Werden sie die Pandemie überstehen?

Von Alexander Menden

Fatima Hellberg ist in ihrem Element. Während sie durch die Ausstellung "The Holding Environment" führt, spricht sie mit Begeisterung über die Arbeiten, die sie für die Schau in den Sälen des Bonner Kunstvereins am Hochstadenring zusammengestellt hat. In einem Raum, den eine Installation des New Yorker Künstlers Marc Kokopeli ausfüllt, weist sie auf die spielerischen Qualitäten seiner Objekte aus Windeln hin, stellt Querbezüge zu anderen hier gezeigten Künstlern her. Mit der gleichen Begeisterung spricht sie über die Energie der Bonner Altstadt und das Leben, das den Platz vor dem Frankenbad, direkt gegenüber dem Kunstverein, zu einem "faszinierenden Ort" mache. Die gebürtige Schwedin umgibt dabei eine solch angenehme Aura unprätentiöser Kunstkenntnis und entspannten Kulturinteresses, dass man darüber fast vergessen könnte, in welch ungewöhnlichen und herausfordernden Umständen sie sich wiederfand, kurz nachdem sie ihr Amt als Direktorin des Bonner Kunstvereins angetreten hatte.

Im Dezember 2019 war Hellberg von Stuttgart, wo sie vier Jahre am Künstlerhaus Stuttgart gearbeitet hatte, an den Rhein gekommen. Im März 2020 schwappte die Corona-Pandemie über Deutschland hinweg. Seitdem befinden sich Hellberg und ihre sieben Mitarbeiter "im Krisenmodus", wie sie selbst es umschreibt. "Wenn man ständig Wasser schöpfen muss, wird es ermüdend" sagt Hellberg. "Wenn 99 Prozent der Energie in die Erhaltung der Infrastruktur gehen, ist irgendwann die Balance nicht mehr da, um unsere eigentliche Arbeit zu machen." "The Holding Environment" hat seit Wochen niemand besichtigen können.

Deutsche Kunstvereine gelten bei der Unesco als Weltkulturerbe

Wie jede Kultureinrichtung werden auch die deutschen Kunstvereine durch Corona in ihrer Planung und ihrer Durchhaltefähigkeit auf eine harte Probe gestellt. Dabei übertreibt der Interessenverband "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine" (ADKV) keineswegs, wenn er den Kunstverein "ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell" nennt. Seit zu Beginn des 19. Jahrhunderts dieses Modell einer bürgerlichen Vereinigung zur Förderung zeitgenössischer Kunst durch Ausstellungen und Jahresgaben etabliert wurde, sind mehr als 300 solcher Vereine in Deutschland entstanden. Sie zählen insgesamt rund 130 000 Mitglieder. Privat getragen und meistenteils ehrenamtlich organisiert, wurde der Kunstverein im vergangenen März gar als eigene Kulturform in das "Bundesweite Verzeichnis Immateriellen Kulturerbes" der Deutschen Unesco-Kommission aufgenommen. Viele organisieren Reisen für ihre Mitglieder, wirken in der Kunstvermittlung und unterstützen sowohl lokale Künstler als auch den internationalen Austausch.

Wie man eine solche Institution auch während einer Pandemie am Laufen hält, war zwangsläufig die erste Priorität für Fatima Hellberg. Die 12 000 Euro, die der Verein monatlich von der Stadt Bonn bekommt, sind sehr wichtig. Aber schon in normalen Zeiten reichen sie kaum, um kostendeckend zu arbeiten. Es sei jetzt hilfreich, im sehr wettbewerbsorientierten Umfeld der Londoner Kunstszene gearbeitet zu haben, wo das Einwerben von Sponsoring und Spenden der Normalfall sei, sagt sie: "Ich habe zuerst an die Finanzen gedacht. Wir hatten eine unglaubliche Solidarität von unseren Mitgliedern. Künstler leben oft in prekären Umständen - und als nicht zuletzt von Mitgliedsbeiträgen und Eintrittsgeldern lebende Institution sind wir das natürlich potenziell auch." Dabei sei sie dankbar für die Unterstützungsmaßnahmen des Landes und beschwert sich auch nicht über die Bürokratie - dieser materielle, pragmatische Aspekt ihrer Arbeit sei sogar "sehr wichtig, um nicht zu abgehoben zu sein, um neugierig zu bleiben, weil man in der Realität verankert" bleibe.

Zumindest finanziell sieht die Situation bei Hellbergs Kollegin Kathleen Rahn, Direktorin des Kunstvereins Hannover, ein wenig besser aus: Die Beiträge der 1400 Mitglieder in Höhe von je 41 Euro im Jahr spielen hier keine so entscheidende Rolle. Die Mittel, die durch die Stadt, das Land Niedersachsen und einige öffentliche Stiftungen an den Verein gehen, garantieren vorerst den Bestand.

Das heißt jedoch nicht, dass die Pandemie an sich den Verein in der niedersächsischen Landeshauptstadt vor weniger große Herausforderungen stellt als die Kollegen in Bonn. Die Frustration von Künstlern zu managen, deren Kunst nun bestenfalls digital zu sehen ist, das Vereinsleben aufrechtzuerhalten, wenn man sich nicht treffen kann, an alldem muss man beständig arbeiten: "Reisen, wie die zur Biennale in Venedig, Atelierbesuche, Jahresgaben - das alles fällt momentan zwangsläufig flach", so Kathleen Rahn.

"Die wichtigste Aufgabe eines Kunstvereins ist nun mal, zeitgenössische Kunst zu zeigen."

Solange die Inzidenz über 100 liegt, gibt es auch keine Präsenzbesuche in den stattlichen Räumlichkeiten des Hannoveraner Künstlerhauses mitten in der Stadt. Und obwohl viele der Mitglieder zu "begeisterten Zoomern" geworden seien, obwohl regelmäßig Hannoveraner Künstler im Stream die laufende Ausstellung des Malers Pieter Schoolwerth kommentieren, sei der direkte Austausch kaum zu ersetzten, sagt Kathleen Rahn: "Die wichtigste Aufgabe eines Kunstvereins ist es nun mal, zeitgenössische Kunst zu zeigen". Das ist derzeit nur mittelbar möglich. Andere Projekte laufen weiter, etwa die Ausschreibung dreier Stipendien, von denen zwei an Künstler gehen, die dann ein Jahr mietfrei in einem Wohnatelier der Hannoveraner "Villa Minimo" wohnen können und 1000 Euro im Monat bekommen.

Man sehe jetzt, dass Institutionen, die über lange Zeit auf einem soliden Fundament aufgebaut wurden, eine bessere Überlebenschance hätten, betont Fatima Hellberg. Das gelte nicht zuletzt auch für die Verwurzelung in dem Ort, an dem ein Kunstverein seinen Sitz hat. Die demokratischen Strukturen eines Vereins, das Engagement der Mitglieder - in Bonn sind es 800 - sei nun ein Überlebensfaktor.

Der ADKV sieht allerdings vor allem in den möglichen Kürzungen der Kulturhaushalten in den kommenden Jahren eine potenzielle Bedrohung für die Infrastruktur der deutschen Kunstvereinslandschaft. "Gelingt es nicht, die Kunstvereine in der Krise besser auszustatten und Fördermittelausfälle zu kompensieren, droht in manchen Regionen das Aus für die Gegenwartskunst", warnt der ADKV in einer Stellungnahme. "In vielen Städten würden gerade die experimentellen Projekte verschwinden - eine Entwicklung, von der sich die aktive, föderal vielgestaltige Kunstszene nie wieder erholen würde."

Der Interessenverband fordert daher vom Bund, in den kommenden zwei Jahren einen "Sonderfonds für zivilgesellschaftliche Vereine der Bildenden Kunst" einzurichten. Die Kunstvereine seien "keine Unterhaltungsangebote, sondern Orte der kulturellen Bildung, die dazu beitragen, die Folgen der Corona-Krise zu mindern und die kulturelle Identität in den Regionen zu erhalten". Die Kommunen sollten deshalb mit den Vereinen Einzelfallprüfungen vornehmen statt pauschal zu schließen und so entscheiden, in welcher Weise Kulturangebote zugänglich gemacht werden können.

Derzeit gehen die Inzidenzzahlen vielerorts nach unten. Dort, wo sie unter 100 fallen, werden auch die Kunstvereine wieder öffnen. "Wir haben das Jahr genutzt, um Veranstaltungen vorzubereiten, die sofort nach dem Ende des Lockdowns stattfinden können", sagt Fatima Hellberg. Und auch die Kollegin in Hannover weiß bereits, wie man die Lockerungen nutzen wird: "Sobald es wieder losgeht, wollen wir den Hof hinterm Haus, den wir uns mit dem Schauspiel teilen, sofort gemeinsam coronagerecht mit Veranstaltungen bespielen" sagt sie. "Wir stehen in den Startlöchern."

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