Süddeutsche Zeitung

Frauenbild im Film:Zu alt mit 35

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Eine neue Studie analysiert mal wieder die Geschlechterrollen im Kino. Mal wieder mit schlechten Nachrichten für Schauspielerinnen.

Von Susan Vahabzadeh

Ach, wär die Welt doch wie im Kino! Also, nicht unbedingt ganz so wie in Roland Emmerichs "Moonfall" oder im Horrorfilm, aber gewichtstechnisch. Die Ernährungswissenschaftler würden jubilieren: In den ertragreichsten 100 deutschen Kinofilmen der vergangenen fünf Jahre, so hat eine Studie der Universität Rostock ergeben, haben nur drei Prozent der zentralen Figuren Übergewicht, und alle sind Männer. Pummelig sind sonst höchstens mal Menschen in Nebenrollen. Das deckt sich so gar nicht mit irdischen Verhältnissen. Und nein, die Universität Rostock hat keine Studie zur Gewichtsverteilung auf Leinwänden gemacht. Die Studie von Prof. Elizabeth Prommer, Julia Stüwe und Juliane Wegner, unter anderem unterstützt von der von Maria und Elisabeth Furtwängler gegründeten MaLisa-Stiftung, heißt "Sichtbarkeit und Vielfalt: Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität - Gender & Kino". Und die Körperbilder, die das Kino entwirft, spielen da durchaus eine Rolle.

Man könnte nun fragen: Gehen die Leute wirklich ins Kino, um die Welt dauernd nur genauso zu sehen, wie sie tatsächlich ist? Natürlich nicht. Auch männliche Darsteller müssen häufig Schönheitsidealen entsprechen - nur sind die Regeln da immer noch weicher und realistischer als bei Frauen. In den USA wird die Diversität auf den Leinwänden schon lange untersucht, unter anderem vom Geena Davis Institute on Gender in Media. Bei einer Studie, die das Institut im vergangenen Jahr veröffentlicht hat, kam heraus, Frauen über fünfzig seien in 75 Prozent der untersuchten Fälle im Zusammenhang mit ihrem Alter gezeigt worden - als biedere Spaßbremse oder gleich als senil. Nur mal ein Beispiel: In "Don't Look Up" von Adam McKay spielt Meryl Streep die Präsidentin, allerdings als eine genderblind besetzte Variante von Donald Trump.

Der Frauenanteil in den deutschen Filmen ist gestiegen, fast alle Frauen sind jung und schlank

Die Ergebnisse der Rostocker Studie sind teilweise erfreulich, aber eben nur teilweise - mehr Frauen, aber nicht weniger Sexismus. 390 Filme wurden untersucht, die mit mehrheitlich deutschem Geld produziert wurden, sie liefen in den Jahren 2017 bis 2020, die Vergleichszahlen stammen aus einer Studie, die 2017 veröffentlicht wurde - und der Frauenanteil auf den Leinwänden ist seither gestiegen, es herrscht fast Parität. Allerdings sind diese Frauen fast alle jung, schlank und werden "im Kontext von Partnerschaft und Beziehung dargestellt". Da spielt dann eben auch die Frage nach dem Gewicht eine Rolle - nur neun Prozent der männlichen Protagonisten wurden als "sehr dünn" eingestuft, aber ein Viertel der Schauspielerinnen.

Zentrale Rollen sind übrigens nicht das Gleiche wie Hauptrollen, auch das hat die Studie bemessen: 48 Prozent der Filme haben keine Hauptdarstellerin, aber nur 34 Prozent haben keinen Hauptdarsteller, der Rest ist gemischt. Auf den Erfolg an der Kinokasse hat das Geschlecht der Hauptdarsteller keinen Einfluss - aber das Budget. Und auch hier gibt es ein Gefälle: Regisseure machen ihre Filme für durchschnittlich 2,8 Millionen Euro, Regisseurinnen für 1,9 Millionen.

Manchmal kommt es einem ja so vor, als habe sich die Darstellung von Frauen im Kino in den vergangenen Jahren verändert, als hätten auch Hollywood-Schauspielerinnen jetzt längere Karrieren - aber es sind immer noch sehr wenige Frauen, für die das gilt. Die Serie "Grace and Frankie" mit Jane Fonda und Lily Tomlin machte Schlagzeilen, als sie bei Netflix startete - aber sie ist auch in den USA immer noch ein Sonderfall. Was nun deutsche Produktionen betrifft - auch hierzulande ist ein Film wie "Enkel für Anfänger" (2020), in dem Maren Kroymann, Barbara Sukowa und Heiner Lauterbach spielen, eher die Ausnahme als die Regel. Die Rostocker Studie besagt: Der Anteil von Frauenfiguren, die über dreißig sind, ist leider rückläufig; und bei den Figuren, die über fünfzig Jahre alt sind, halten die Männer dann eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Berufe haben weibliche Figuren auch seltener. Man könnte das auch so zusammenfassen: Frauen werden zwar abgebildet, aber nach sexistischen Kriterien.

Noch immer führen nur bei einem Viertel der Kinofilme Frauen Regie

Wer was als sexistisch empfindet, unterliegt natürlich auch sehr persönlichen Sensibilitäten. Elizabeth Prommer hat in der Studie den Bechdel-Wallace-Test verwendet, was auch eine ganze Reihe von anderen Instituten und Fördereinrichtungen tun, denn er hat sich als sehr allgemeiner Gradmesser für sichtbare Frauen, die trotzdem nichts zu melden haben, ganz gut bewährt. In der Rostocker Studie gibt es sogar so eine Art Gegenprobe, den Furtwängler-Test: "Gibt es zwei Männer? Haben diese erkennbare Namen? Sprechen diese miteinander? Über etwas anderes als Frauen/Beziehung?" Die Antwort ist in den meisten Fällen viermal "Ja", aber wie absurd diese Fragen sind, wird tatsächlich umso deutlicher, werden sie auf Männer bezogen. Den Bechdel-Wallace-Test - dieselben Fragen, nur mit Frauen - bestehen insgesamt nur 58 Prozent. Führen Frauen Regie oder schreiben sie die Drehbücher, dann bestehen 90 Prozent der Filme den Bechdel-Wallace-Test, aber es führen immer noch nur bei einem Viertel der Kinofilme Frauen Regie.

Frauen sind, so Prommer in "The Gender-Age-Gap on Screen", einem Aufsatz, den sie für das Buch "Falling Off a Cliff? Women, Ageing and The Screen Industries" von Susan Liddy geschrieben hat, das später in diesem Jahr erscheinen wird, selbst in Hauptrollen durchschnittlich sechs Minuten weniger auf der Leinwand präsent als Männer. "Falling Off a Cliff", von der Klippe fallen, wäre auch ein schöner Titel für eine Grafik in der Rostocker Studie, die die Altersverteilung der Figuren beschreibt. Bei den Männern geht sie erst jenseits der fünfzig steil nach unten, bei Frauen fällt sie schon bei 35 Jahren ins Bodenlose. Ist das wirklich das, was das Publikum will? Das Geena Davis Institute hat auch einmal eine Zuschauerbefragung zum Alter gemacht - und da waren Menschen über fünfzig, ungeachtet ihres Geschlechts, mit der Darstellung ihrer Altersgruppe nur zu einem Viertel zufrieden, bei den jüngeren Erwachsenen waren es immerhin 42 Prozent.

Prommer zitiert in ihrem Aufsatz an einer Stelle Sarah Jessica Parker, die in einem Interview mit der Vogue zum Start von "And Just Like That ..." beschreibt, in welchem Dilemma Schauspielerinnen stecken - sie altern, und man wirft ihnen das vor, oder sie lassen sich liften, dann wirft man ihnen das vor. "Was soll ich tun?", fragt Parker da. "Aufhören zu altern? Oder verschwinden?"

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