Süddeutsche Zeitung

Britische Moscheen:Gasthaus Gottes

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Viele Moscheen in Großbritannien sind umfunktionierte Gebäude. Warum sie für eine zeitgemäße europäisch-muslimische Architektur stehen, zeigt eine Ausstellung des Victoria and Albert Museum in Venedig.

Von Laura Weißmüller

"Warum gibt es keine großartigen britischen Moscheen?", fragte im Jahr 2002 der Architekturkritiker Jonathan Glancey im Guardian. Knapp 20 Jahre später könnte man diese Frage auch in Deutschland stellen. Denn obwohl hierzulande heute mehr als fünf Millionen Muslime leben, gibt es keinen zeitgenössischen deutschen Moscheenbau, mal abgesehen von den wenigen Ausnahmen wie der Islamischen Gemeinde Penzberg oder der Ditib-Zentralmoschee in Köln. Moscheen in Deutschland müssen entweder ein Hinterhofdasein fristen, sind so gut wie unsichtbar im Ortsbild, oder sie sehen aus, wie sich Traditionalisten diese in der Türkei vorstellen, mit Kuppel und Minarett.

Dass Moscheen tatsächlich ganz anders gestaltet sein können, dass sich gerade diese Form der Sakralbauten an die Zeit, den jeweiligen Ort und die Bedürfnisse der Gemeinde anpassen kann, das zeigt die Ausstellung "Britische Moscheen" des Victoria and Albert Museums (V&A), die im Rahmen der Architekturbiennale in Venedig zu sehen ist. Mit großformatigen Fotografien, eins zu eins Mock-ups und 3-D-Scans werden hier drei Moscheen in London vorgestellt. Alle drei eint etwas Wesentliches: Die Gebäude hatten ursprünglich eine ganz andere Funktion. Die Brick-Lane-Moschee etwa entstand als Kirche und wurde anschließend als Synagoge genutzt, bevor sie von 1976 an zur Moschee umgebaut wurde. Die Harrow-Central-Moschee dagegen war ein Wohnhaus, die Old-Kent-Road-Moschee sogar ein Pub.

Bis heute ist die Vorgeschichte der Gebäude ablesbar. Mal ist es eine Hugenotten-Sonnenuhr, die an der Wand prangt, oder hebräische Inschriften, dann die klassische Raumaufteilung eines britischen Pubs mit großem Speisesaal und schlanker Bar - wo heute der Gebetsraum für Frauen untergebracht ist. Genau dieses sichtbare Ineinandergreifen von dem, was hier mal war, und dem, was heute dort ist, lässt die Moscheen sprichwörtlich Wurzeln schlagen. Sie sind mit dem Ort verbunden, sind integraler Bestandteil der Stadtviertel und besitzen Insignien der britischen Alltagskultur, kurz: Sie gehören dazu und präsentieren sich nicht als Fremdkörper.

Das Verfahren streckt den Bauprozess und führt zu einer Art von Patchwork-Moschee

"In Großbritannien kann jeder eine Moschee gründen", sagt Shahed Saleem, einer der drei Kuratoren der Schau. Das zeigen auch die drei Beispiele aus London. Die Brick-Lane-Moschee wurde von Muslimen aus Bangladesch initiiert, die Old-Kent-Road-Moschee von einer nigerianischen Glaubensgemeinschaft, die Gründer der Harrow-Central-Moschee haben einen pakistanischen Hintergrund. Das ist fundamental anders als in Deutschland, wo viele, wenn nicht die meisten Moscheen mit der Ditib, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, verbunden sind und sich an deren strenge Vorgaben halten müssen.

Nicht so in Großbritannien. In der Regel starten die Moscheen dort als kleine Graswurzelbewegung, sie werden von der jeweiligen Glaubensgemeinschaft sowohl finanziert als auch gestaltet. Das streckt nicht nur den Bauprozess oft über Jahre, schließlich steckt kein Großfinanzier dahinter, das führt auch zu dieser Art von Patchwork-Moschee, die vorgefundene Räume adaptiert und umfunktioniert. Oder wie der Architekt und Architekturhistoriker Saleem es formuliert: "Mit der selbstgebauten und improvisierten Moschee entstand eine neue religiöse Typologie, die sich im ganzen Land verbreitet hat."

Oft sammelt eine Gemeinde so lange, bis sie sich einen eigenen Neubau leisten kann

Ein solches Weiterbauen von Vorhandenem ist nur möglich, weil eine Moschee kaum vorgeschriebene Bestandteile vorweisen muss. Kuppel und Minarett zum Beispiel sind nicht nötig, eigentlich braucht es nur einen Ort, wo die Gemeinde zusammenkommen kann. Alles andere, wie etwa der Gebetssaal gestaltet ist, welche Baumaterialien verwendet werden, ja selbst die Trennung zwischen Mann und Frau, sind nirgendwo vorgeschrieben. Marina Tabassum, die preisgekrönte Architektin aus Bangladesch, hat mit ihren Entwürfen gezeigt, wie spektakulär anders eine Moschee aussehen kann, wenn man sich diese Freiheiten nimmt.

In Großbritannien gehören 80 Prozent der etwa 1800 Moscheen für 3,4 Millionen Muslime zum Typ Patchwork-Gebetshaus. Oft sammelt eine Gemeinde so lange, bis sie sich einen eigenen Neubau leisten kann. Das führt oft zum Abriss des alten Domizils, weswegen die V&A-Schau auch eine Erinnerung an solch gewachsene Strukturen ist. Gleichzeitig dürfte gerade ihr Entstehungsprozess, diese Verwurzlung an einem Ort, der Grund dafür sein, dass man Glanceys Frage jetzt anders beantworten kann. Denn heute gibt es sehr wohl großartige britische Moscheen. Allen voran hat Shahed Saleem mit der grafischen Shahporan-Moschee und dem Islamischen Zentrum in London eine davon entworfen. Auch in Cambridge entstand 2019 eine nachhaltige filigrane Holzbau-Moschee, die zeigt, wie zeitgenössisch modern ein muslimisches Gotteshaus auftreten kann. Aktuell versucht in Großbritannien eine Initiative, eine nur von Frauen geleitete Moschee zu gründen. Eine andere will eine inklusive Moschee schaffen. Deren Gebäude dürften noch einmal ganz anders aussehen. Sie alle eint der Wunsch, eine Antwort darauf zu liefern, welche Architektur eine europäisch-muslimische Identität widerspiegeln kann.

British Mosques, Pavilion of Applied Arts, Architekturbiennale, Venedig. Bis 21. November. Infos unter: www.labiennale.org/en/architecture/2021/pavilion-applied-arts

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