Süddeutsche Zeitung

Golden Globes:Wer braucht diese Golden Globes noch?

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In Los Angeles sind die Golden Globes vergeben worden - hinter verschlossenen Türen. Die Hollywood Foreign Press Association zog die Veranstaltung trotz aller Skandale in den vergangenen Monaten durch.

Von Jürgen Schmieder

Was einem für immer im Gedächtnis bleiben wird von diesem Abend im Beverly Hilton Hotel, das ist der Gesichtsausdruck der beiden Hotelgäste im Bademantel. Sie schlurfen durch die Lobby, und als sie am International Ballroom vorbeikommen, sehen sie ein paar Leute in schicken Kleidern, die Impfpässe vorzeigen und auf Einlass warten. Es ist weit und breit kein Promi zu sehen, und weil in Los Angeles normalerweise immer irgendwo ein Promi dabei ist, reagieren die Bademantel-Gäste mit diesem unvergesslichen Blick, der vermittelt: Ach herrje, was für eine trostlose Veranstaltung, Jahresfest der Immobilienmakler oder was?

Nein, es sind die Golden Globes, einstmals zweitwichtigste Preisverleihung der Film- und TV-Branche; "Hollywoods Party des Jahres" wurde sie genannt, weil es nicht so bedeutungsschwanger zuging wie bei Oscars (Film) und Emmys (TV). Gewöhnlich wäre vor dem Hotel ein roter Teppich in Marathonlänge verlegt worden, Schampus aus Mini-Fläschchen in die Münder der Stars geflossen zur Lockerung der Zungen. Die sollten dann lustige und auch pikante Dinge sagen wie etwa Jodie Foster, die 2013, wenn auch nicht zum ersten Mal, andeutete, homosexuell zu sein. Oder Jack Nicholson, der den Leuten 2003 mitteilte, Valium genommen zu haben. Oder Bette Midler, die 1980 so tat, als würde sie die durchaus phallische Trophäe in den Mund nehmen. Nach der Verleihung, immer: Knutsch- und Kuschelparty.

An diesem Sonntag: kein roter Teppich, kein Schampus, keine Stars. Klar, der International Ballroom mit den riesigen Kronleuchtern ist wahnwitzig glamourös, nur ist er das auch beim Jahresfest der Immobilienmakler. Die Hollywood Foreign Press Association (HFPA) zieht diese 79. Verleihung also wirklich durch, trotz all der Skandale der vergangenen Monate. Man kann als Besucher (auf die Frage nach einer Akkreditierung kam die Antwort, dass Infos folgen würden - die trotz Nachfrage niemals folgten) durchs Hotel spazieren, es gibt keine Security (für wen auch, ist ja kein Star da), und ohne Stars gibt es keine Fans. Es gibt zwar auch keine Proteste. Aber das Gegenteil von Begeisterung ist ja nicht Protest, sondern Ignoranz.

Es ist, und es gibt kein schlimmeres Urteil für so eine Veranstaltung, ein ganz normaler Sonntag in diesem Hotel.

Kurz vor 18 Uhr schließt jemand die Holztüren und dann geht sie los, diese Verleihung hinter tatsächlich verschlossenen Türen. Der TV-Sender NBC verzichtet auf die Übertragung im Fernsehen, es gibt auch keine Bilder auf einem Streamingportal. Die Gewinner werden drinnen verkündet, von Mitgliedern wohltätiger Organisationen, die die HFPA fördert, und dann per Twitter-Feed an die Welt gesendet. Als bester Film zum Beispiel ... Moment, interessiert es denn heuer überhaupt jemanden, wem diese Vereinigung einen Preis verleiht? Nein, tut es nicht. (Falls es doch jemand wissen will: Der Twitter-Account heißt @goldenglobes.)

Drinnen sagt HFPA-Präsidentin Helen Hoehne, dass die Golden Globes eine Brücke seien. Man will sofort fragen: Von wem zu wem denn? "Zwischen vielen Hautfarben", sagt Hoehne, und das ist der erste Gag des Abends, weil einer der schlimmeren Vorwürfe an die HFPA doch ist, ein recht hellhäutiger Laden zu sein. Kann man taktloser sein, als sich gleich im ersten Atemzug beziehungsweise Tweet inklusiv zu feiern? Vielleicht war es ja wirklich ein Scherz. Die HFPA gefiel sich jahrzehntelang in der Rolle dessen, von dem keiner weiß, warum er wichtig ist, außer vielleicht als Orakel für die wirklich wichtigen Oscars - und lachte über diese Scherze, die allesamt bitterböse und damit todtraurige Wahrheiten enthielten. Was aber, wenn es kein Gag war und Hoehne das wirklich ernst meinte?

Okay, kurze Pause, um mal die entscheidende Frage zu klären: Keine Stars, kein Schampus, keine TV-Übertragung, kein Streaming, nichts. Warum in aller Welt finden die Golden Globes überhaupt statt?

Es geht, natürlich, um Geld. Um sehr viel Geld. NBC zahlt pro Jahr 62,5 Millionen Dollar, die Golden Globes von 2018 bis 2025 übertragen zu dürfen - davor waren es gerade mal 25 Millionen gewesen. Der TV-Sender zahlt allerdings nicht an die HFPA direkt, sondern an Dick Clark Productions. Das gehört zum mächtigen Independent-Studio Media Rights Capital (MRC), verantwortlich für Serien wie "Ozark" und erfolgreiche Live-TV-Shows wie die NBC-Silvestersause aus New York, und nun wird es interessant.

Zum einen, so heißt es aus dem Umfeld ranghoher NBC-Manager, wolle man MRC nicht dauerhaft verärgern; zum anderen gebe es keine sogenannte "morals clause". Die gibt es bisweilen bei Schauspielern, die zur Verantwortung gezogen werden können, sollte ihr Verhalten dafür sorgen, dass sich ein Film nicht vermarkten lässt wie geplant.

Moralische Verfehlungen wären der HFPA doch ein paar vorzuwerfen. Anfang 2021 belegte die Los Angeles Times anhand detaillierter Recherchen, was ohnehin alle wussten in Hollywood: Die HFPA, die seit 1944 die Golden Globes vergibt, ist eine Vereinigung, deren Mitglieder nicht viel von journalistischen Standards halten (Scarlett Johansson sagte, dass die Fragen "an sexuelle Belästigung grenzen" würden). Sie lassen sich bis an die Grenze zur Bestechlichkeit einladen und beschenken, und sind so was von hellhäutig, dass selbst die #oscarssowhite-Filmakademie bunt daherkommt.

Die HFPA übte sich in Aktionismus aus dem Handbuch für Krisenmanagement: Aufnahme von 21 neuen Mitgliedern, sechs davon schwarz. Davor hatte es keine schwarzen Mitglieder gegeben. Es stimmen 103 Auslandsjournalisten über die Preise ab - etwa 70 waren am Sonntag da. Spende an Organisationen wie "Streetlights", die Minderheiten und Frauen in der Filmbranche fördert. Neuer Vorstand. Anheuern eines sogenannten Diversitätsberaters. "Wir haben sehr hart daran gearbeitet, unsere Organisation von Grund auf zu reformieren und umzustrukturieren", sagt Hoehne, seit September HFPA-Präsidentin. Die Reaktion der Branche darauf, weil alles gar so gestellt wirkte: Boykott.

Es liegt der Verdacht nahe, hinter vorgehaltener Hand äußern den auch viele, dass die HFPA die Golden Globes abhielt, weil sonst die bedeutsamste Einnahmequelle versiegte. NBC mag die Ausstrahlung verweigern, aber solange die HFPA gewisse Parameter erfüllt, muss der Sender zumindest irgendwas zahlen. NBC verzichtet ja und nicht die HFPA. Im vergangenen Jahr wollte NBC einen Rabatt von 20 Millionen Dollar, weil wegen der auf Videotelefonie reduzierten Gala nur sieben Millionen Amerikaner (im Jahr davor waren es 18,4 Millionen gewesen) eingeschaltet hatten - ebenfalls, so heißt es, mit eher mäßigem Erfolg. Genaue Zahlen will einem keiner sagen.

Der Grund für die Relevanz der HFPA ist nicht das journalistische Renommee ihrer Mitglieder, sondern ausschließlich die Golden-Globe-Verleihung - und die war deshalb relevant, weil die Stars kamen und für Stimmung sorgten, weil ein TV-Sender (seit 1996 NBC) zur besten Sendezeit übertrug und weil das genügend Leute sehen wollten. Die HFPA war wie der völlig irre Onkel beim Familienfest: Es kann ihn keiner so richtig leiden, die meisten bezweifeln, überhaupt mit ihm verwandt zu sein. Aber er steckt nun mal jedem derart viel Geld zu, dass er und sein oft groteskes Verhalten geduldet werden.

Es profitierten alle davon und es ist eine haarsträubende Heuchelei, wenn nun alle so tun, als müsste lediglich die HFPA an den Pranger gestellt werden. Niemand, wirklich niemand sieht gut aus bei dem, was herausgekommen ist - auch nicht Stars, die ihre Preise zurückgeschickt haben. Als es sich noch für sie lohnte, waren sie gekommen ins Beverly Hilton, obwohl sie gewusst haben, was da läuft. Oder NBC, bei aller Bewunderung für die Immer-wieder-Moderatorinnen Tina Fey und Amy Poehler. Die beiden sind NBC-Galionsfiguren und haben durch ihre genialen Auftritte ihr Profil und das des Senders geschärft. Bereits 2010 gab es in der Fey-NBC-Show "30 Rock" eine Folge, in der die HFPA-Machenschaften thematisiert wurden. Hm!

Klar ist, die HFPA braucht die Golden Globes. Nur: Wer sonst? Sie wollen im kommenden Jahr ein rauschendes Fest feiern zum 80. Jubiläum, auch NBC hat angekündigt, bei ausreichenden Reformen wieder übertragen zu wollen. Wird das klappen? Letztlich, so die recht nüchterne Lesart in Hollywood, werden Vermarkter der Stars entscheiden, ob es sich für ihre Klienten lohnen wird, den Golden Globes eine Relevanz-Renaissance zu gönnen.

Als die Verleihung vorbei ist, nach weniger als zwei Stunden übrigens, werden die Holztüren geöffnet. Wer Mitglieder trifft, man kennt sich ja von gemeinsamen Terminen in Hollywood, kriegt eine Mensch-lange-nicht-gesehen-Begrüßung und hin und wieder eine Umarmung. Kurzer LA-Small-Talk: Wie geht's? Amazing. Wie war's? Amazing! Wie geht's weiter? Amazing! Das war's, schnell weiter - nicht zu After-Partys, sondern zum Empfang ein Stockwerk tiefer am Pool. Fröhlich-beschwipst und damit redselig ist niemand, eher fröhlich-erleichtert. Und ruhig.

Natürlich kann man das schade finden, dass der Branche in ohnehin schwierigen Zeiten (geschlossene Kinos, abgesagte oder verschobene Festivals) eine Veranstaltung wegbricht, die auch mal andere Filme feiert als nur Superhelden-Knaller. Auf der anderen Seite: Wer braucht eine Veranstaltung, die einzig deshalb relevant ist, weil es sich für alle lohnte? Niemand. Deshalb ist die Botschaft dieses Abends eine ähnliche wie dieser Blick der Bademantel-Gäste: The Show Must Not Go On.

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