Süddeutsche Zeitung

"Godzilla":Monster im Mittelpunkt

Lesezeit: 4 min

Gegen die vielen Viecher in Gareth Edwards' neuem "Godzilla" haben menschliche Darsteller gar keine Chance mehr. Aber das ist nicht unbedingt schlecht.

Von Philipp Stadelmaier

Die Fallschirmspringer stürzen sich in höchsten Höhen aus dem Militärflugzeug in einen weiten, bedrohlich glühenden und flackernden Nachthimmel. Mit Leuchtfackeln ziehen sie lange rote Rauchstreifen hinter sich durch die Luft, wie pulsierende, blutige Schlieren. Schließlich durchbrechen sie die gewaltige Wolkendecke - und die Welt wird grau und dunkel, das Bild trüb.

Unten am Boden wartet San Francisco, in Trümmern, umhüllt von einer riesigen Aschewolke, in die sich langsam das dunkle Rot der Rauchstreifen mischt. Die Springer, nun in den verlassenen Straßenzügen der einst bunten Stadt gelandet, packt die pure Panik. Denn hier tobt ein Kampf zwischen drei gigantischen Urzeitmonstern: der Riesenechse Godzilla und zwei spinnenartigen Wesen, "Mutos" genannt, deren Krallen so groß sind wie Zugwagen. Im Vergleich zu diesen mutierten Biestern wirkt die Stadt, die sie zerstören, wie eine winzige Miniaturwelt. Wie Götter thronen sie auf den Hochhäusern, deren Größe sie um ein Vielfaches überragen.

Selten konnten die Menschen im Kino weniger gegen Monster ausrichten als hier: nämlich gar nichts. Die Viecher fechten ihren Kampf allein unter sich aus, der Mensch wird zur Befriedung dieses Streits, der als Kollateralschaden seinen kompletten Lebensraum zerstört, nichts beizutragen haben - trotz aller militärischen Mühen. Er bleibt Zuschauer von etwas Größerem, was ihn ebenso fasziniert wie der rote Abendhimmel, ebenso benebelt wie die Wolkendecke, ebenso bedroht wie die Trümmeraschenhülle. Himmel, Fegefeuer, Hölle: Gareth Edwards' "Godzilla" ist ein dantesker Film, eine Jenseitswelt, die man durchwandern, aber in der man kaum noch handeln kann.

Wiedererweckt durch Atombombenabwürfe

Edwards' Film wirkt, als habe er selbst wie ein Monster sämtliche vorhergehenden Godzillas verschlungen. Das Filmplakat des japanischen Originals von 1954, der das Monsterfilm-Genre in Japan begründete, taucht ebenso auf wie Aussehen und Feuerspeien des alten Monsters. Das über den Vorspann gelegte Archivmaterial mit Atombombenexperimenten aus den Fünfzigern verweist auf den ursprünglichen Kontext: Im Film von Ishirô Honda wurde das urzeitliche Monster aus der Tiefe des Meeres durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wiedererweckt. Direkt darauf macht Edwards einen Sprung nach 1999 - also ein Jahr nach dem "Godzilla" von Roland Emmerich. Auf den Philippinen findet man in einer Mine ein uraltes Skelett - und darin ein frisch aufgebrochenes Ei.

Dieser Godzilla aber ist kein Ausdruck des kollektiven Atombombentraumas oder irgendeiner öko-politischen Botschaft mehr, noch taugt er als Vorlage für die One-Man-Show eines freakigen Wissenschaftlers wie bei Emmerich. Er ist einfach ein Wesen, das mit dem Menschen die Erde teilt und nicht zu bezwingen ist. Ihm ist nicht mal mit Atombomben beizukommen - im Gegenteil. Nach dem Zweiten Weltkrieg führt der missglückte Versuch seiner nuklearen Zerstörung zur Kreation jener feindseligen "Mutos", die aus Radioaktivität ihre Energie beziehen, gerne in Atomkraftwerken brüten und schon mal Nuklearsprengköpfe wie Fingerfood naschen. Was sich im Folgenden zwischen Japan, Hawaii und San Francisco abspielen wird, wird also nicht gerade eine lahme Stehparty.

Ein urzeitliches Knarren und Basswabern, das in den Kreaturen eine unheimliche Präsenz jenseits des menschlichen Einflussbereichs verstärkt - das war schon in Edwards' erstem Langspielfilm so, dem sehr erfolgreichen "Monsters", ein Low-Budget-Film, der Edwards damals die Türen Hollywoods öffnete. Dort machten sich ein Journalist und eine junge Frau von Mexiko auf durch eine von ebenfalls unbesiegbaren Aliens "infizierte" Zone zurück in die USA.

Der Film war mit seinen starken Referenzen auf "Apocalypse Now" eher eine phantasmagorische Reise. Anders als in "Godzilla" sind die "Monsters" nur im Fernsehen zu sehen, niemals direkt - außer kurz am Ende, um ein kurzes Liebesspiel aufzuführen, als seien sie die ganze Zeit über eine Art Hintergrundrauschen für die erotische Annäherung zwischen den beiden Reisenden gewesen.

So eine Monster-Liebesszene gibt's auch hier - der männliche und der weibliche Muto züngeln sich inmitten schönster Zerstörung eine Atombombe zu, als wär's ein Kirschbonbon. Aber dies geschieht nicht mehr für die Menschen, deren Verhältnisse hier uninteressant werden. Die Eltern der Hauptfigur (der brave Soldat Brody, der sich im Kampf gegen die Monster engagiert) sind zwar edel besetzt mit Juliette Binoche und Bryan Cranston in seiner ersten größeren Rolle nach dem Ende von "Breaking Bad".

Die Vater-Sohn-Beziehung hätte eine Spielberg-Familiengeschichte oder die psychologische Intensität von "Breaking Bad" erzeugen können: Wenn Cranston "I need a meeting" ins Telefon brüllt, hört man Walter White, und schon beginnt sein von Aaron-Taylor Johnson gespielter Sohn Aaron Paul zu ähneln, der in "Breaking Bad" den Partner des drogenbrauenden Chemielehrers spielt.

Die Hauptfigur bleibt Statist

Aber dazu kommt es nicht. Was keineswegs schlecht ist. Denn die beiden Stars Binoche und Cranston sind viel zu kurz zu sehen, als dass sie die Aufmerksamkeit auf diesen am wenigsten monströsen und schwachen Aspekt des Films lenken könnten: aufs Drehbuch. Johnson selbst ist ein unaufdringliches Niemands-Gesicht, als Hauptfigur bleibt er ein Statist, der sich in seiner Unaufdringlichkeit ganz in den Dienst der eigentlichen Protagonisten stellt: der Monster, das heißt: der von Monster-Computern produzierten Bilder. Schon letztes Jahr hatte "Pacific Rim" erst durch seine interesselosen Figuren seiner grandiosen Bilderwelt ein beeindruckendes Gewicht geben können.

Wie nahe kommen wir also diesem "Godzilla", dieser Bild-Bestie, diesem Monster-Film? Die Frage stellt sich nicht in der Story, sondern allein in den Bildern. Etwa im wunderbaren Auftauchen und Verschwinden der Monster im Nebel und in der tollen Variation der Distanzen, wodurch sie mal nur von fern in voller Aktion klar und deutlich zu sehen sind, mal ganz nah vorbeistreifen. Einmal fährt auf einem Hoteldach in Hawaii die Kamera zurück, und unten taucht eine Reihe von Schattenköpfen auf - Leute aus dem Publikum? Nein, natürlich Touristen im Film. Ein geniales Trompe-l'œil, und ein Sturz zurück in die Leinwand, ins Bodenlose der schieren Faszination, in die Edwards seinen Godzilla verwandelt hat.

Godzilla , USA 2014 - Regie: Gareth Edwards. Buch: Max Borenstein, Dave Callaham. Kamera: Seamus McGarvey. Mit: Bryan Cranston, Elizabeth Olsen, Juliette Binoche, Ken Watanabe, Aaron Tayler-Johnson. Warner, 123 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2014
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