Süddeutsche Zeitung

Documenta:Aufsichtsrat berät über Documenta

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Nach Antisemitismus-Skandal geht es nun um Strukturreformen und mögliche Rücktritte.

Von Moritz Baumstieger und Jörg Häntzschel

Zuletzt sprachen die Verantworlichen für die Weltkunstschau Documenta zumindest öffentlich mehr übereinander als miteinander. Die Generaldirektorin Sabine Schorman etwa veröffentlichte Anfang der Woche ein Statement, in dem sie die Verantwortung für die antisemitischen Vorfälle von sich und teils anderen zuwies, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth reagierte "sehr erstaunt und befremdet" auf diese Worte, die aus ihrer Sicht "so nicht zutreffend" seien.

Am Freitagabend nun wollten einige der Beteiligten wieder miteinander reden - der Aufsichtsrat der Documenta sollte zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Über den Inhalt der Gespräche drang bis zum späten Abend nichts nach außen. Welche Richtung das Treffen unter der Leitung des Kasseler Bürgermeisters Christian Geselle (SPD) und der hessischen Kulturministerin Angela Dorn (Grüne) nehmen würde, war bis zuletzt unklar gewesen: Einige Beobachter gingen davon aus, dass die Documenta-Generaldirektorin Schormann ihren Rücktritt erklären werde - den eine immer größer werdende Zahl von Kulturpolitikern auf Landes- und Bundesebene, aber auch viele Akteure aus der Kunstwelt fordern, seit kurz nach der Eröffnung der Kunstschau Mitte Juni antisemitische Karikaturen auf dem Werk "People's Justice" am zentralen Friedrichsplatz in Kassel entdeckt wurden.

Dass Schormann jedoch nicht zurücktritt, sondern entlassen wird, "steht nicht zur Debatte", schrieb die in Kassel gut verdrahtete Hessische Niedersächsische Allgemeine. Zum einen, weil Bürgermeister Geselle nach wie vor hinter Schormann steht, Kritik an deren Krisenmanagement abschmettert mit dem Argument, die Kunstfreiheit sei für die Documenta eminent wichtig und dürfe nicht beschnitten werden. Gleichzeitig befürchtet man im Kassler Rathaus wohl eine Art "Kettenreaktion, an deren Ende sogar das Aus der documenta fifteen stehen könnte".

"Einige Prozesse in der Krisenbewältigung laufen nicht gut."

Statt personeller Konsequenzen könnte also eher ein weiterer Anlauf stehen, die Vorgänge in Kassel aufzuklären: Hessens Kunstministerin Dorn forderte am Donnerstag im Landtag in Wiesbaden "eine Struktur, die uns für die laufende Documenta, aber auch für die Zukunft Empfehlungen geben kann". Die Organisation mit einer künstlerischen Leitung durch ein Kollektiv sei mutig und neu gewesen, "sie hat offenbar aber auch dazu geführt, dass die Sorgfalt und die Verantwortung des Kuratierens gelitten haben".

In den vergangenen Wochen wurden jedoch bereits Anläufe unternommen, die künstlerische Leitung in Kassel mit einem Expertengremium zu unterstützen, zuletzt hatte es der Leiter der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank versucht. Meron Mendel erklärte sich bereit, gemeinsam mit anderen Experten ein Gesprächsformat zu organisieren und Empfehlungen zum Umgang mit unter Antisemitismus-Verdacht stehenden Kunstwerken zu geben, danach hörte er nach eigener Darstellung nichts mehr vom Organisationsteam aus Kassel. Mendel, der eigentlich das Ziel hatte, diese Documenta noch zu einem positiven Abschluss zu bringen, warf schließlich frustriert hin - auch, weil Erklärungen der Documenta-Leitung zu Vorgängen mehrmals nicht der Wahrheit entsprachen, wie er der SZ versicherte.

"Wir sind an einen Punkt gekommen, wo wir gemeinsam einsehen müssen, dass einige Prozesse in der Krisenbewältigung nicht gut laufen", meint nun auch Dorn. "Es ist jetzt an der Zeit, dass der Aufsichtsrat dazu gemeinsam Position bezieht." Eine gewichtige Stimme - und im Konflikt mit der Documenta-Leitung vielleicht die schärfste - wird dabei aber fehlen: Kulturstaatsministerin Roth ist nicht Teil des zehnköpfigen Gremiums, in dem hessische Landes- und Kasseler Kommunalpolitiker sitzen. Der Bund hatte sich unter Roths Vorgängerin Monika Grütters aus den Organisationsstrukturen der Weltkunstschau zurückgezogen - in einem Ende Juni vorgelegten Fünf-Punkte-Plan zur Documenta deutete Roth an, dass sie dies rückgängig machen wolle. Und schon damals forderte sie, was am Freitag wieder auf dem Programm stehen sollte: lückenlose Aufklärung.

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