Süddeutsche Zeitung

Die CDs der Woche - Popkolumne:Alter Ruhm würdig verwaltet

Lesezeit: 3 min

Derzeit kommen alle zurück, die irgendwann einmal etwas bedeutet haben. So nun auch Primal Scream, die Saxofon, Panflöte und Dudelsack besser zum Einsatz bringen als vermutet. Rapper Ghostpoet bollert mit verschlafenem Sprechgesang herum und inspiriert damit mehr als Little Boots mit ihrem Bubblegum-Pop - zum Lesen und Hören in unserer Popkolumne.

Von Jens-Christian Rabe

Little Boots

So wie es in der Literatur die Sehnsucht nach dem anspruchsvollen Bestseller gibt oder im Film die Sehnsucht nach dem intelligenten Blockbuster, so gibt es auch im Pop die Sehnsucht nach dem Indie-Hit. Also nach dem Song oder Album, der oder das riesigen Erfolg hat, ohne sich den erbarmungslosen Gesetzen des Geschäfts allzu sehr gebeugt zu haben. Der es schafft, eigensinnig und überraschend zu sein, und trotzdem sehr, sehr viele verschiedene Menschen zu begeistern. Hier ist im übrigen auch noch einer der allerletzten Orte, an denen man von so etwas wie der subversiven Kraft der Popkultur sprechen kann. Ein solcher Fall war allerdings immer schon unwahrscheinlich.

Und heute - unter den Bedingungen des Internets, das dafür gesorgt hat, dass zwar für so viele Dinge wie nie zuvor ein kleines bisschen, aber für immer weniger Dinge ganz viel Aufmerksamkeit vergeben wird - ist er vielleicht unwahrscheinlicher denn je. So unwahrscheinlich auf jeden Fall, dass in den vergangenen Jahren einige Indie-Pop-Künstler auf der Suche nach dem guten Hit ihre Taktik geändert haben. Amerikanische Bands wie Pop Etc. oder Sängerinnen wie die Britin La Roux und die Schwedin Robyn versuchten nicht mehr, dem Mainstream einen eigenen Pop-Entwurf unterzujubeln. Sie nahmen sich vielmehr alle schlimmen Hochglanz-Breitwand-Sounds und Gesangsmanipulationsprogramme des regierenden Bubblegum-Pop und bewiesen mit teilweise hinreißenden Ergebnissen (und gemischtem Erfolg), wie man das Pop-Grauen mit seinen eigenen Mitteln schlagen kann. Man höre nur "Bulletproof" von La Roux oder "Konichiwa Bitches" von Robyn.

Auch die Britin Victoria Hesketh alias Little Boots, deren zweites Album "Nocturnes" (On Repeat/Rough Trade) nun erscheint, gehört in diese Reihe. Ihr Debüt "Hands" verkaufte sich vor vier Jahren nicht nur gut, es gab sogar eine Nominierung für den auch in der Indiepop-Welt hoch angesehenen Mercury-Prize. Aber schon damals schien bei Little Boots die Begeisterung über den Ansatz die tatsächliche Qualität der Musik etwas zu überstrahlen. Im Vergleich zu den Kolleginnen blieb zu vieles dann doch zu blass. "Nocturnes" bestätigt diesen Eindruck nun leider. Uninspirierter Bubblegum-Pop bleibt auch bei noch so guten Absichten uninspirierter Bubblegum-Pop.

Wir bleiben bei der Qualitätskontrolle der wichtigsten Pop-Veröffentlichungen der Woche in England. Und es geht sogar noch einmal um britischen Nachwuchs-Musik-Adel. Auch der Produzent, Sänger und Rapper Obaro Ejimiwe alias Ghostpoet aus London, dessen neues Album "Some Say I So I Say Light" (Play It Again Sam/Pias) heißt, war schon einmal für den Mercury-Prize nominiert. 2011 war das für sein Debüt "Peanut Butter Blues & Melancholy Jam". Das ging völlig in Ordnung.

Und sein Versuch, den Trip-Hop der Neunzigerjahre an die Hand zu nehmen und der Basskur des Dubstep der Nullerjahre zu unterziehen, klingt immer noch zwingend. Unter, über, neben maximal verschlafenem Sprechgesang klackt und drückt und bollert es also sehr angenehm schleppend herum. Es fehlen vielleicht noch die wirklich großen Song-Ideen, aber sei's drum, es ist alles unwahrscheinlich sorgfältig verpuzzelt - obwohl man sich kaum vorstellen kann, dass die Beteiligten ihre Augen bei der Arbeit irgendwann mehr als halb geöffnet haben. Denken Sie sich jetzt bitte ein ganz trockenes, tiefes D-dmmmm. Sehen Sie!

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Für kleine Helfer, bei denen die Augen eher ganz weit aufgerissen werden müssen, stand in den Achtziger- und Neunzigerjahren die Band Primal Scream. Und weil das erste Gebot des Pop heute lautet, dass alle zurückkommen müssen, die irgendwann einmal etwas bedeutet haben - deshalb gibt es jetzt nach fünf Jahren auch wieder neue Musik von Primal Scream. Mindestens ihre Alben "Screamadelica" (1991) und "Give Out But Don't Give Up" (1994), auf denen die unwahrscheinliche Vermählung von handgeschöpftem Indierock und elektronischer Dance Music gelang, waren allerdings so gut, dass es allein die Ehrfurcht gebietet, hinzuhören.

Tatsächlich wird auf "More Light" (First International) der alte Ruhm würdig verwaltet. Mehr passiert leider aber auch nicht. Obwohl: Über den Einsatz von Saxofon, Panflöte und Dudelsack haben wir doch mindestens dreimal sehr gestaunt. Es klingt wirklich viel weniger peinlich, als man vermuten würde. Auch eine Kunst.

Fortlaufende Popkolumne der SZ.

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Quelle:
SZ vom 08.05.2013
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