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Erasmus in England:Aktiv auf Partnersuche

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Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union verabschiedet das Land sich auch sukzessive von "Erasmus+". Somit werden die Hürden fürs Studium im Vereinigten Königreich deutlich höher. Immerhin gibt es Möglichkeiten, wie man gegensteuern kann.

Von Jeannette Goddar

Seit mehr als 30 Jahren zieht es Erasmus-Studierende an die Universitäten von Portsmouth bis Aberdeen, von London bis Belfast: Im Jahr 2019 studierten circa 30 000 aus dem europäischen Ausland in Großbritannien, unter ihnen rund 3500 von deutschen Hochschulen. Nicht ganz so viele, aber immerhin knapp 20 000 britische Studierende absolvierten ein oder zwei Semester des Programms, das offiziell "Erasmus+" heißt, auf dem europäischen Kontinent. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union bedeutet das Ende dieses Austauschs und auch so manch andere Veränderung: Wer ein ganzes Studium an einer britischen Universität absolviert, benötigt nun ein Visum und zahlt bis zu dreimal so hohe Studiengebühren. Ruth Krahe, Leiterin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in London, zeigt Möglichkeiten auf, die Situation zu verbessern.

SZ: Wie hat die britische Hochschulwelt auf den EU-Austritt Großbritanniens und insbesondere auf die damit verbundenen Folgen für das Erasmus-Programm reagiert?

Ruth Krahe: Das war schon ein Schock. Europäische Studierende sind den Hochschulen sehr wichtig, hinzu kommt der hohe Symbolwert: Wie kein anderes Programm steht "Erasmus+" für Austausch, Freizügigkeit, Diversität. Und so manche Äußerung von Boris Johnson hatte die Hoffnung genährt, es könne trotz Brexit weitergehen. Der Verbleib Großbritanniens in dem EU-Forschungsprogramm Horizon, das der Regierung sehr wichtig ist, wurde schließlich vereinbart. Viele hatten gehofft, die Programme könnten verknüpft werden.

Hätte die EU-Kommission sagen sollen: Wenn Großbritannien in dem Forschungsprogramm Horizon bleiben will, geht das nicht ohne "Erasmus+"?

Auch wenn es zwei Programme mit zwei Budgets sind, hätten sich die Wissenschaftsorganisationen das wohl gewünscht. Doch nun müssen andere Wege gefunden werden. Allerdings: Bis Mai 2023 ist Austausch im Rahmen von "Erasmus+" noch möglich.

Studierende können sich für 2021/22 wie für 2022/23 noch bewerben?

Ja. Die Bewerbungsfrist für das kommende Wintersemester könnte mancherorts zwar bereits vorbei sein, das hängt von der Hochschule ab. Nachfragen lohnt sich aber, denn für 2022/23 sollte in jedem Fall noch etwas möglich sein. Ansprechpartner ist, wie bei Erasmus üblich, die Heimathochschule.

Großbritannien war immer auch für ein ganzes Bachelor- oder Masterstudium attraktiv. Bisher schlugen dafür meist rund 11 000 Euro Studiengebühren im Jahr zu Buche. Und künftig?

Deutlich mehr, bisher haben EU-Studierende dieselben Gebühren bezahlt wie britische. Nun muss man für einen einjährigen Master mit durchschnittlich rund 25 000 Euro rechnen, in laborintensiven Studiengängen wie Pharmazie oder Medizin ist es sogar weit mehr. Bachelor-Studien sind nicht viel günstiger. Und: Die Berechtigung für britische Studienkredite fällt weg, das ist ebenfalls ein Nachteil.

Bleibt es erlaubt, neben dem Studium zu arbeiten?

Das kommt darauf an. Für sechs Monate dürfen Studierende weiterhin ohne Visum einreisen; die britischen Universitäten bemühen sich nach eigenen Angaben, diese Zeitspanne auf ein Masterstudium - zehn bis zwölf Monate - verlängern zu lassen. Ohne Visum ist Jobben allerdings ebenso wenig erlaubt wie ein unbezahltes Praktikum.

Und mit Visum?

Das ist die Alternative. Allerdings kostet ein Visum mindestens 400 Euro und bedeutet einen gewissen bürokratischen Aufwand. Und man muss nachweisen, dass man für den Aufenthalt in Großbritannien über finanzielle Mittel verfügt. Doch wer ein Visum hat, darf im Semester 20, in den Semesterferien 40 Stunden pro Woche arbeiten. Ein ganzes Studium lässt sich damit jedoch kaum finanzieren - zumal auch hier, bedingt durch die Pandemie, Zigtausende Jobs weggebrochen sind.

Was könnten Hochschulpartnerschaften leisten? Die Berliner Universitäten kooperieren ja zum Beispiel mit der Universität Oxford, die LMU München mit Cambridge.

Ja, das sind große strategische Partnerschaften, die bisher vor allem auf Zusammenarbeit in der Forschung setzen. Für sie dürfte es recht einfach sein, in gewissem Umfang auch Studierendenaustausch zu organisieren. Wir hoffen allerdings, dass das künftig weit häufiger geschieht. Insgesamt gibt es 1600 deutsch-britische Hochschulpartnerschaften - viele sind recht lose, andere sehr weitgehend. Sie alle könnten überprüfen, wie der Austausch von Studierenden bilateral vereinbart werden kann. Und wo die Zusammenarbeit noch nicht so ausgeprägt ist, könnten neue Verbindungen entstehen: Wenn Hochschulen ihre Fachbereiche und Curricula dahingehend betrachten, wo und mit wem Partnerschaften sinnvoll wären. Der DAAD berät Hochschulen dazu, deswegen wissen wir: Vieles ist bereits in Bewegung.

Innerhalb dieser Partnerschaften können auch Studiengebühren erlassen werden?

Im Prinzip ja, wenn auch gewiss in begrenztem Umfang. Zentral ist, dass beide Seiten etwas von dem Austausch haben; insofern braucht es Wege, von denen britische Studierende ebenso profitieren. Denkbar ist auch die Gewährung gegenseitiger Stipendien. Im Zweifel gilt auch hier: Fragen Sie bei Ihrer Hochschule, ob es Partnerhochschulen gibt und welche Vereinbarungen gelten.

Welche Rolle spielen die britischen Regionen? Schottland wie Wales wären gern Partner von "Erasmus+" geblieben.

Ja, allerdings gehören sie zu Großbritannien, die EU-Kommission hat das abgelehnt. Die walisische Regierung hat im März ein eigenes Stipendienprogramm in Aussicht gestellt. Das könnte für Studierende in Deutschland interessant werden: Mit 65 Millionen Pfund soll der Austausch von walisischen Studierenden international, bei starkem Fokus auf die EU-Staaten, ebenso gefördert werden wie der aus der EU nach Wales. Das ist ein anderer Zugang als jener des Turing-Programms, das die britische Regierung als Ersatz für "Erasmus+" erdacht hat: Das fördert allein die Mobilität von Studierenden aus dem Vereinigten Königreich.

Gibt es etwas, das die Bundesregierung tun könnte?

Ja, möglich wäre etwa, Auslandsaufenthalte, ein ganzes Studium sowie einen großen Teil der Studiengebühren für Bafög-Empfänger weitgehend über das Auslandsbafög zu finanzieren. Der DAAD hat hierzu eine Regelung analog zu jener vorgeschlagen, die für die Schweiz bereits gilt. Die Verhandlungen mit der Bundesregierung laufen, auch über weitere Stipendien. Weil es sich teils um überlappende Förderungen zu "Erasmus+" handelt, wird das allerdings wohl erst von 2023 an möglich sein.

Auch innerhalb Großbritanniens regte sich Protest gegen die Studiengebühren: Für einen in Pandemiezeiten nur digital geöffneten Campus wollten Studierende nicht so hohe Summen bezahlen. Könnte das britische Modell, das stark von Studiengebühren abhängig ist, unter Druck geraten?

Maximal halte ich eine Herabsetzung der Gebühren für denkbar. Das britische Modell geht von einer speziellen Prämisse aus: Wer durch seinen akademischen Abschluss später deutlich höhere Einkommen erzielt, so die Logik, der muss vorher dafür bezahlen. Eine grundsätzliche Abkehr davon kann ich mir kaum vorstellen.

Seit Jahrzehnten kennen viele Studierende in Deutschland Kommilitonen, die eine Zeit lang an britischen Universitäten gelernt und eine große Nähe zu dem Land entwickelt haben. Gehen diese Zeiten zu Ende?

Ich bin da nicht so pessimistisch. Die Zahlen dürften sinken, in welchem Umfang, bleibt abzuwarten. Insgesamt bleibt ein Studium an einer britischen Hochschule aber doch attraktiv: Die Universitäten sind einfach gut; verbunden mit der Chance auf akademische Englischkenntnisse wird das weiterhin viele anziehen. Ein Studium in den USA leisten sich ja auch viele - und das bleibt weit teurer.

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