Süddeutsche Zeitung

Schüler aus Tokio in Köln:Flucht vor der Katastrophe: Fürs Abitur nach Deutschland

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Das Elend in ihrer Heimat geht ihnen nicht aus dem Kopf. Trotzdem müssen sich die Schüler einer deutschen Schule in Tokio auf ihr Abitur konzentrieren - und reisten dafür bis nach Köln.

Normalität, weit weg von der Katastrophe: Eine Schulklasse der geschlossenen Deutschen Schule Tokyo Yokohama (DSTY) fliegt gut 10.000 Kilometer weit, um hierzulande das Abitur zu machen. Die Katastrophe in Japan haben sie hinter sich gelassen, um in Köln in sieben Wochen ihren Abschluss zu machen. "Ich finde es sehr traurig, dass wir aus Japan raus mussten, aber natürlich zugleich auch gut, dass wir hier das Abi machen dürfen", sagt die Deutsch-Japanerin Masumi Stadler.

"Es ist eine andere Form der Reifeprüfung, eine intellektuelle und eine soziale", meint Philipp Wehmann von der DSTY-Schulleitung nach dem "ersten Schultag". Die meisten sind erst gerade vor wenigen Tagen in der Domstadt gelandet und werden nun in einem Gästehaus auf engem Raum zusammenleben. Sie haben das Erdbeben am 11. März erlebt, das Leid der Japaner lässt sie nicht los. Sich da ganz auf Mathe und Geschichte zu konzentrieren, fällt nicht leicht.

"Für mich ist es auch ein schlechtes Gefühl, hier zu sein, weil in Japan so viele Menschen sind, die mir nahe stehen und die nicht weg können", erzählt Hanna Karst. "Ich wäre auch lieber geblieben." Ihr Vater hat sie nach Köln begleitet, die japanische Mutter ist weiter in Tokio. "Etwas in Sorge bin ich schon um sie."

Manche müssen sich erst einmal orientieren: "Ich war noch nie in Deutschland. Der Kulturschock ist aber ausgeblieben", sagt Akihito Kawatani, der halb Österreicher und halb Japaner ist. Für den Unterricht haben die 17- und 18-Jährigen "Asyl" in einem städtischen Gymnasium erhalten. Eine der wenigen Konstanten sind die Lehrer. Denn die zehn Pädagogen stammen ebenfalls von der Privatschule nahe Tokio und haben das Land ebenso schweren Herzens verlassen.

Es gelten zwar die gleichen Vorgaben wie für alle anderen Abiturklassen in Deutschland auch. Besonderheiten gibt es trotzdem viele. Eine gleich zu Beginn: In der ersten Stunde am Montag wurde das aufwühlende Erlebte noch einmal gemeinsam im Klassenverband aufgearbeitet, wie Geschichtslehrer Wehmann berichtet. Die Jugendlichen sind aber optimistisch, ihr Abi trotz der widrigen Umstände zu packen.

Nach dem Jahrhundertbeben und wegen der anhaltenden radioaktiven Strahlungsgefahr bis in den Großraum Tokio ist die DSTY seit einem Monat geschlossen. Ob sie in diesem Schuljahr überhaupt noch einmal öffnen wird, ist völlig unklar. Von 409 Schülern, 82 Kindergartenkindern und 42 Lehrern sind etwa hundert geblieben, die anderen haben das Land verlassen. Die meisten Jungen und Mädchen drücken in Deutschland, aber auch in anderen europäischen oder asiatischen Ländern die Schulbank. Schulleiter Michael Szewczyk hofft angesichts der "krisenbedingten außergewöhnlichen Belastung" auf Finanzhilfe des Auswärtigen Amtes. "Wir brauchen deutliche Unterstützung des Staates."

Solange das AA für Kinder und Jugendliche weiter von Reisen auch in den Großraum Tokio abrät, bleibt die DSTY leer. Rund 200 Kilometer von Japans Hauptstadt entfernt geht das gefährliche Drama an der Atomruine Fukushima weiter - und Kinder schädigt eine radioaktive Verstrahlung gesundheitlich schneller und stärker als Erwachsene. Die Abiturienten wollen trotzdem schnellstmöglich zurück. "Ich war eigentlich die ganze Zeit über entspannt. Die Japaner sind ja auch nicht panisch geworden", sagt Maximilian Stuber. Er habe sich nicht in Gefahr gefühlt. Die Berichte deutscher Medien seien oft völlig übertrieben gewesen, meint er.

"Es war das erste Mal, dass ich so eine furchtbare Katastrophe erlebt habe. Und ich finde es schlimm, dass ich gar nicht helfen kann", schildert Andreas Wolff. "Viele von uns hatten ein komisches Gefühl, fast ein schlechtes Gewissen, als wir aus Japan rausgeflogen sind", erzählt der 17-Jährige. Aber: "Wenn wir Schüler das Land verlassen, haben die Japaner etwas mehr Trinkwasser - und wir essen ihnen nichts weg. Die Vorräte werden ja knapper. Vielleicht helfen wir ja damit wenigstens ein kleines bisschen."

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