Süddeutsche Zeitung

Amazon:Labor der Ausbeutung

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Amazon-Chef Jeff Bezos und etliche andere US-Manager treiben Mitarbeiter gnadenlos bis in die Erschöpfung - weil es sich lohnt.

Ein Kommentar von Kathrin Werner

Jeff Bezos ist ein Mensch, der gerne experimentiert. Nicht nur mit einem Paketversand per Drohne, sondern auch mit der Frage, wie weit man Mitarbeiter treiben kann. Der Chef des Versandriesen Amazon wollte sein Unternehmen einst "Relentless.com" nennen, "gnadenlos". Statt Klimaanlagen leistete sich Amazon früher in den überhitzten Versandzentren lieber Rettungswagen, die kollabierte Arbeiter abtransportierten, das war billiger.

Um schwächelnde Büroangestellte in der Unternehmenszentrale in Seattle loszuwerden, behilft sich Bezos mit dem, was Amazon am besten kann: mit Datenauswertung. Daten sagen, welcher Manager am wenigsten verkauft, die meisten Kundenbeschwerden verursacht oder Nachschub zu spät bestellt. Sie sagen, wer zu früh nach Hause geht, zu oft krank ist oder im Urlaub spät auf E-Mails antwortet. Um noch mehr Daten zu sammeln, fordert Amazon Mitarbeiter auf, ihre Kollegen anzuschwärzen, falls ihnen Schwächen auffallen. Daten sind gnadenlos. Und Menschen, die um ihren Job fürchten, wenn jemand besser ist als sie, sind es auch.

Bezos ist stolz darauf: Amazon ist nichts für Schwache. Doch einzigartig ist Amazon vor allem, weil Bezos so offen zugibt, was er seinen Leuten abverlangt. Die vielen Start-ups und begehrte Arbeitgeber wie Tesla oder Google haben Tischfußball und lustige Poster in den Büros und betonen, dass ihre Mitarbeiter ihr Kapital sind.

Doch auch sie sind längst nicht so nett und bunt, wie sie erscheinen. Moderne Technik macht möglich, dass jederzeit genau verfolgt werden kann, wer was leistet. Harte Arbeit und ständige Erreichbarkeit sind selbstverständlich. Das gilt besonders für das Silicon Valley, das den Mitarbeitern das Gefühl vermittelt, mit der nächsten Erfindung oder der nächsten App die Welt zu verändern. Statt auf Ausbeutung setzen die Unternehmen auf Selbstausbeutung. Wer nicht mithalten kann oder will, wird aussortiert. Der Amazon-Arbeitsstil, so extrem er wirkt, durchdringt mehr und mehr die moderne Arbeitswelt.

Keine Gesetze für Mitarbeiter

Gewiss: Falls die Daten irgendwann zeigen, dass es nicht mehr genug Hochmotivierte gibt oder dass die Burn-out-Rate bei Menschen in schwer ersetzbaren Positionen zu groß wird, dann wird Bezos die Firmenkultur anpassen. Oder wenn das schlechte Image die Kunden abschreckt. Solange es sich aber noch lohnt, hart zu sein, wird Amazon nicht weicher werden.

Zügeln ließe sich der Daten-Kapitalismus nur mit Arbeitnehmer-Gesetzen. Doch die wird es in den USA nicht geben, insbesondere nicht für "White Collar Worker", also die mit den weißen Kragen. Es gehört zur amerikanischen Überzeugung, dass niemand gezwungen wird, bei Hochdruck-Arbeitgebern anzuheuern. Und es gehört zum amerikanischen Mythos, dass das Land auf harter Arbeit aufgebaut ist und Fortschritt eben Kraft kostet. Es ist üblich, die spärlichen Urlaubstage nicht zu nutzen, die Wochenenden im Büro zu verbringen und nachts E-Mails zu beantworten. Die amerikanische Freiheit beinhaltet die Freiheit zur Selbstausbeutung.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2015
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