Süddeutsche Zeitung

Wehenmittel:Mediziner reagieren auf Kontroverse um Cytotec

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Berichte über das in der Geburtshilfe eingesetzte Medikament Cytotec haben kontroverse Reaktionen in der Fachwelt ausgelöst. In einer gemeinsamen Erklärung nehmen am Donnerstag mehrere Fachgesellschaften Stellung: die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin, die Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in Geburtshilfe und Frauenheilkunde. Die Ärzte betonen, dass der in Cytotec enthaltene Wirkstoff Misoprostol in der Geburtshilfe nicht umstritten sei, weshalb ihn fast alle Perinatalzentren verwenden würden.

Kliniken und Frauenarztpraxen berichten von Anrufen verunsicherter Schwangerer

Recherchen von Süddeutsche Zeitung und Bayerischer Rundfunk hatten ergeben, dass das Mittel in jeder zweiten Klinik in Deutschland eingesetzt wird, um Wehen einzuleiten, obwohl es dafür keine Zulassung gibt. Das Medikament habe zu Todesfällen und Nebenwirkungen wie Gehirnschädigungen der Neugeborenen und Gebärmutter-Rissen geführt. Dem halten die Fachgesellschaften entgegen, dass kein Wirkstoff zur Geburtseinleitung ähnlich gut in Studien untersucht worden sei wie Misoprostol. Mehr als 80 randomisiert-kontrollierte Studien zur oralen Anwendung und Dutzende Studien zur vaginalen Applikation lägen vor. Daraus lasse sich "unstrittig" die Evidenz ableiten, dass Misoprostol "das effektivste Medikament zur Geburtseinleitung" sei und bei oraler Anwendung zu weniger Kaiserschnitten als andere Medikamente führe.

Dass Cytotec, so der Markenname, nicht zur Geburtseinleitung zugelassen sei und im "Off-Label-Use" verwendet werde, stimme zwar. Doch da "Zulassungsstudien fast aller Medikamente Kinder und Schwangere ausschließen, werden in der Geburtshilfe und Kinderheilkunde überwiegend Antibiotika, Bluthochdruckmittel und Medikamente zur kindlichen Lungenreifung ,off-label' angewendet". Auch die anderen Mittel zur Geburtseinleitung seien "nur in bestimmten Situationen" zugelassen.

Kliniken und Frauenarztpraxen berichten von Anrufen verunsicherter Schwangerer, die nun darum bitten, ihre Geburt nicht einzuleiten. "Eine Geburt wird nur aus medizinischen Gründen eingeleitet, und es wäre schade, wenn Frauen jetzt unnötige Angst davor hätten und sich auf unsichere Mittel und Methoden einlassen", sagt Maria Delius, Leiterin der Geburtshilfe an der Uni-Frauenklinik Innenstadt in München, wo jährlich 2500 Babys geboren werden. "Zudem bekommen wir jetzt viele Anfragen von Frauen, die ein gesundes Kind geboren haben und im Nachhinein befürchten, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte", sagt Delius. "Wir kennen keinen einzigen Fall in unserer Klinik, wo ein direkter Zusammenhang zwischen kindlichen Schädigungen und der Verwendung von Misoprostol bekannt wäre. Das Medikament ist aus unserer Sicht ein bewährtes Mittel, das bei richtiger Indikation hilfreich und sicher eingesetzt werden kann."

Auch die größeren Geburtskliniken in München und dem Umland haben am Donnerstag eine gemeinsame Stellungnahme ihrer Teams von Hebammen und Ärzten verfasst. Sie weisen auf ein Dilemma der Geburtshilfe hin: "Wenn die Geburt nicht auf natürlichem Wege beginnt, stehen die Schwangere und ihr geburtshilfliches Team vor der Wahl zwischen Kaiserschnitt und Geburtseinleitung", heißt es dort. "Die meisten Schwangeren wünschen sich eine vaginale Geburt und möchten einen Kaiserschnitt vermeiden - diese Auffassung teilen Ärzte sowie Hebammen uneingeschränkt, sofern nicht aus anderen Gründen ein Kaiserschnitt erforderlich wird."

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SZ vom 14.02.2020
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