Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Wie sinnvoll sind Absagen von Großveranstaltungen?

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Von Berit Uhlmann

Als Gesundheitsminister Jens Spahn am Wochenende empfahl, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen, klang das zunächst nach einem klaren Plan mit eindeutigem Kriterium. Doch wissenschaftlich gesehen ist die pauschale Regelung zur Eindämmung des Coronavirus nicht ganz so eindeutig zu bewerten. Zwar bergen große Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern aus unterschiedlichen Regionen das Risiko, dass Menschen sich mit dem neuen Erreger infizieren und ihn in alle Himmelsrichtungen verbreiten.

Doch zum einen blieb zunächst unklar, wieso die Grenze ausgerechnet bei 1000 Teilnehmern gezogen wurde. Spahn begründete die Zahl am Montag damit, dass auch Länder wie Frankreich und die Schweiz Ansammlung von mehr als 1000 Menschen für riskant hielten. Es sei verständlicher, wenn es in Europa eine einheitliche Größe gebe. Allerdings taucht diese Größe weder in den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO noch in den Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf.

Darüber hinaus ist die Besucherzahl nur einer unter mehreren Faktoren, von denen abhängt, wie groß das Infektionsrisiko auf einer Veranstaltung ist. Das RKI führt noch eine Reihe weiterer Kriterien auf. Sie lassen sich unter der Frage zusammenfassen: Wer kommt wo zusammen, um was zu machen? Es ist demnach entscheidend, woher die Teilnehmer kommen: aus einem Risikogebiet oder alle aus einer Region, in der es noch nie einen Fall gab? Außerdem wichtig: Werden viele gefährdete Menschen auf der Zusammenkunft erwartet?

Es kommt darauf an, dass Menschen voneinander Abstand halten können

Einen Einfluss auf das Risiko hat auch die Beschaffenheit des Veranstaltungsorts. In engen, geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen können sich Erreger leichter verbreiten als an Plätzen, an denen es Menschen möglich ist, Abstand voneinander zu halten. Vor allem aber zählt, wie sich die Teilnehmer verhalten. Wie vielen anderen Menschen kommen sie wie lange wie nahe?

Bildlich gesprochen: Wenn Kollege Schmidt infiziert auf einer Betriebsversammlung sitzt, wird er vielleicht einige Mitarbeiter auf den Nachbarstühlen anstecken. Doch die Chancen sind recht groß, dass er nicht allzu viele infiziert und man diese Menschen schnell identifizieren und gegebenenfalls unter Quarantäne stellen kann. Stürzt sich Schmidt dagegen in das Gedränge einer öffentlichen Party, tanzt er dort, umarmt andere, schüttelt Hände und hinterlässt Keime auf allen möglichen Gegenständen, kann er deutlich mehr Menschen anstecken. Es kann zudem sehr schwer sein, die Infizierten anschließend ausfindig zu machen.

Das RKI stellt auch klar, dass diese Faktoren ein Stück weit beeinflussbar sind. So können unter Umständen potenziell Infizierte oder besonders gefährdete Menschen von Veranstaltungen ausgeschlossen werden. Eine gute Belüftung kann das Risiko von Ansteckungen senken ebenso wie Aufklärung und ausreichende Möglichkeiten, die Hände zu waschen oder zu desinfizieren. All dies sollte berücksichtigt werden, wenn entschieden wird, ob eine Veranstaltung erlaubt, verkleinert, mit Auflagen versehen oder aber abgesagt wird. Die Entscheidung obliegt dem Veranstalter oder dem Gesundheitsamt. Spahns Ministerium selbst kann keine Veranstaltungen unterbinden.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2020
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