Süddeutsche Zeitung

Corona-Impfung:Die Erde ist nun mal keine Scheibe

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Viele Menschen sind nicht grundsätzlich gegen die Corona-Impfung, wollen sich aber erst mal eine "eigene Meinung" bilden. Sie lassen außer Acht, dass ein einzelner Mensch die Natur unmöglich besser verstehen kann als Tausende Wissenschaftler.

Kommentar von Felix Hütten

Dieser Tage wird viel diskutiert über die große Frage, wie man eigentlich mehr Menschen zu einer Impfung gegen Sars-CoV-2 bewegen könnte. Umfragen zeigen immer wieder, dass viele Menschen zwar unsicher, viele sicher aber keine radikalen Verweigerer sind. Oft gehörter Satz: Man sei nicht grundsätzlich gegen die Spritze, wolle sich aber erst mal eine "eigene Meinung" bilden.

Dagegen ist natürlich nichts zu sagen, im Gegenteil. Wie schön, wenn sich Menschen Gedanken um ihre Gesundheit und ihren Körper machen. Problematisch aber wird es, wenn hinter dem Ruf nach der "eigenen Meinung" der Versuch steht, wissenschaftliche Erkenntnisse aushebeln zu wollen. Ganz so, als sei es möglich, alleine mit den eigenen Gedanken bessere Forschung betreiben zu können, als es Tausende Wissenschaftler weltweit täglich tun. Weil dieses Vorhaben also mitunter schwierig bis unmöglich ist, entspinnt sich aus dem Wunsch nach einer eigenen Meinung nicht selten ein Wirrwarr aus Falschnachrichten und Halbwahrheiten. Der eine sagt so, der andere so, viele meinen irgendwas, aber niemand weiß wirklich sicher.

Niemand kann die Gesetze der Natur von null auf alleine studieren

Wenn Meinungen und Tatsachen sich aber vermischen, oder, noch schlimmer, Meinungen auf falschen Behauptungen beruhen, ist Gefahr im Verzug. Für einen selbst, denn ja, das Coronavirus kann töten, besonders Ungeimpfte. Aber auch für die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich nicht erst seit der Pandemie Anfeindungen ausgesetzt sehen. Der Versuch, seine eigene Meinung über längst etablierte Tatsachen zu stellen, lässt letztlich das Fundament eines jeden Diskurses zerbröseln - und damit auch das Fundament einer Gesellschaft.

Wissenschaft ist, wenn man so will, der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich einigt, bevor man anfängt zu diskutieren. Noch weiter von oben betrachtet: Wissenschaft ist ein Demokratieprojekt. Der Ruf nach der "eigenen Meinung" reduziert aber nicht selten längst etablierte Erkenntnisse zu einer Gegenmeinung - die man damit auch leichter ablehnen kann. Das verschafft einem das Gefühl, recht zu haben, doch schadet es dem Miteinander.

Doch es lohnt sich, die Wissenschaft als Ganzes nicht als Bedrohung für die eigene Meinung zu sehen, sondern als deren Basis. Die Erde ist nun mal keine Scheibe, und, ob man es will oder nicht, ein Virus überträgt sich immer genau dort, wo Menschen zusammenkommen.

Und damit wird klar: Ein einzelner Mensch kann die Gesetze der Natur unmöglich mit eigenem Nachdenken von null auf studieren. Das Schöne ist aber: Er muss es auch gar nicht. Die Arbeit haben Tausende Wissenschaftler weltweit schon für einen erledigt.

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