Süddeutsche Zeitung

Zeitumstellung:Nur noch fünf Minuten

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Von Paul Munzinger

Nur noch Sommerzeit: Ganz konkret hieße das, dass es im Winter abends eine Stunde länger hell ist. Nicht mehr, nicht weniger. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, aber ist überzeugt, dass viele Menschen die ewige Sommerzeit weniger wegen seiner konkreten Auswirkungen für eine tolle Idee halten, sondern wegen des schönen Gefühls, das allein das Wort auslöst. Lange Tage, laue Abende, Biergarten - als brächte ewige Sommerzeit ewigen Sommer. Was da leicht in Vergessenheit gerate, fürchtet Meidinger: dass die Stunde Licht am Abend mit einer Stunde Dunkelheit am Morgen erkauft werde. Und diesen Preis müssten vor allem Schüler teuer bezahlen.

Der EU-Verkehrsausschuss hat in der vergangenen Woche beschlossen, die Zeitumstellung bis 2021 abzuschaffen. Das klingt abschließender als es in Wirklichkeit ist. Die Mitgliedstaaten müssen noch zustimmen. Um einen "Flickenteppich" zu vermeiden, wollen sie sich zudem darauf verständigen, wie die europäischen Uhren künftig ticken sollen. Das könnte schwierig werden. Die Bundesregierung hat bereits deutliche Sympathien für die ewige Sommerzeit erkennen lassen. Das hält Meidinger für den falschen Weg. Zehn Millionen Schüler müssten dann im Winter in völliger Dunkelheit ihren Schulweg antreten, warnt er, selbst während der ersten Pause sei es draußen noch dunkel. Dadurch stiege nicht nur die Unfallgefahr am Morgen, Schlafstörungen und Lernprobleme der Schüler seien die Folge, das Risiko von Depression und Diabetes wachse. Ewige Sommerzeit? "Unverantwortlich", findet Meidinger.

Der Schlaf der Schüler ist ein sensibles Thema. Erst im Januar kam eine Studie der Krankenkasse DAK zu dem Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche zu wenig schlafen und infolgedessen an Stress leiden. Neunt- und Zehntklässler schlafen demnach pro Nacht nur etwa sieben Stunden, und damit zwei weniger als für ihre Altersgruppe empfohlen. Einer der Hauptgründe laut Studie: Die Jugendlichen verbringen zu viel Zeit mit dem Smartphone. Damit die Schüler früher ins Bett kommen, haben manche Schulen in Großbritannien Schlafunterricht eingeführt.

Aus Sicht von Schlafforschern wie dem Münchner Chronobiologen Till Roenneberg gehen die Jugendlichen dagegen nicht zu spät ins Bett, sie müssen zu früh aufstehen. Der Schulbeginn um acht Uhr morgens widerspreche ihrem natürlichen Rhythmus, ihrer inneren Uhr. Seit Jahren fordert Roenneberg deshalb, ebenso wie die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, den Schulbeginn nach hinten zu verschieben - auf neun Uhr.

Sollten die Uhren eines Tages das ganze Jahr über nach Sommerzeit laufen, würde das Problem verschärft: Die Schüler müssten im Winter noch früher aufstehen, der "soziale Jetlag" (Roenneberg) würde noch größer. Für den Fall, dass die Zeitumstellung bis 2021 abgeschafft wird, fordert deshalb auch Felix Banaszak, Vorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen, einen späteren Schulstart. Zumindest von der fünften Klasse an. Sonst, so Banaszak bei Twitter, "sitzen Schulkinder demnächst im Winter bis zur großen Pause im Dunkeln".

Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger sieht das genauso. Doch die Forderung nach einem späteren Schulbeginn hält er für eine "fruchtlose Scheindebatte". Weil die Schulen erstens nicht isoliert seien, sondern eingebunden in einen gesellschaftlichen Takt, aus dem sie nicht einfach herausgelöst werden könnten, einzelne Klassen oder Stufen schon gar nicht. Nach welchen Kindern soll sich dann der Busfahrplan richten? Und wie sollen berufstätige Eltern um halb neun bei der Arbeit sein, wenn das eine Kind um acht in die Schule muss, das andere um neun? Und zweitens, sagt Meidinger, bliebe die Zahl der Stunden bei späterem Schulbeginn ja gleich. Der Unterricht verschöbe sich nur, und zwar in den Nachmittag. Genau das aber wollten viele Eltern und viele Schüler auf keinen Fall, wie nicht zuletzt das Scheitern des achtjährigen Gymnasiums etwa in Bayern gezeigt habe.

Sollte die Zeitumstellung abgeschafft werden, bleibt aus Meidingers Sicht nur eine Alternative: die Uhren das ganze Jahr so stellen, wie sie derzeit zwischen Oktober und März ticken. Meidingers Glück: "Ewige Winterzeit" muss er nicht fordern. Das Gegenstück zur Sommerzeit heißt offiziell Normalzeit.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2019
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