Süddeutsche Zeitung

Schülervergleich:Die fünf wichtigsten Erkenntnisse aus der Pisa-Studie

Lesezeit: 4 min

Deutschlands Schüler schwächeln, vor allem in Mathe. Und es tun sich neue Gräben auf: zwischen Gymnasien und den übrigen Schulformen, zwischen Schülern aus benachteiligten und begünstigten Familien. Der Überblick in Grafiken.

Von Paul Munzinger und Bernd Kramer

Zum siebten Mal haben die Bildungsforscherinnen und Bildungsforscher der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weltweit die Schulen vermessen, in Deutschland nahmen 5451 Jugendliche am Pisa-Test teil.

Und wie lautet das Fazit?

Kristina Reiss, Mathematikerin an der TU München und Leiterin des deutschen Teils der Studie, findet: Das Ergebnis könne sich durchaus sehen lassen. Vor allem wenn man bedenke, wie sich die Schulklassen in den letzten Jahren verändert hätten - auch durch die vielen Geflüchteten, die seit 2015 mit Kindern nach Deutschland kamen. 36 Prozent der 15-Jährigen in der jüngsten Pisa-Stichprobe haben einen Migrationshintergrund, also mindestens ein Elternteil aus dem Ausland. 2009 waren es noch 26 Prozent. Die Herausforderungen in den Klassenzimmern sind also nicht geringer geworden, und die Integration Geflüchteter sei da nur eine. "Unter diesen Umständen", sagt Reiss, "haben die Schulen gute Arbeit geleistet." Einerseits.

Andererseits fallen die Ergebnisse bei genauem Blick mindestens gemischt aus, mitunter auch besorgniserregend. Ein grafischer Überblick in fünf Thesen.

1. Dreimal über dem Schnitt - doch der Aufwärtstrend ist vorbei

Pisa testet 15-Jährige in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. In allen drei Bereichen schneiden die deutschen Schülerinnen und Schüler in der aktuellen Studie Pisa 2018 besser ab als der Durchschnitt in den OECD. Viele andere westliche Länder wie Frankreich, die USA, Schweden oder Großbritannien liegen in etwa gleichauf.

Der Aufwärtstrend, der Deutschland nach dem Pisa-Schock 2001 über den Schnitt getragen hatte, scheint endgültig vorbei zu sein. Im Lesen hat sich die Leistungskurve abgeflacht und ist wieder beim Wert von 2009 angekommen. In Mathematik und den Naturwissenschaften weist sie klar nach unten.

2. Die Schere zwischen den starken und den schwachen Schülern ist in Deutschland so groß wie in kaum einem anderen Land - und sie öffnet sich weiter.

Das zeigt sich besonders deutlich beim Lesen, dem Schwerpunktthema bei Pisa 2018. Elf Prozent der Schüler erreichen hier die beiden höchsten Kompetenzstufen, sie sind also nicht nur in der Lage, lange und komplexe Texte zu verstehen, sondern auch auf ihre Zuverlässigkeit hin einzuschätzen und Meinungen von Tatsachen zu trennen - eine neue Anforderung in Pisa, die dem Wandel des Lesens im Internet Rechnung tragen soll. Gegenüber 2009 ist die Quote dieser "hochkompetenten" Leser um 4 Prozentpunkte gestiegen, besonders stark an Gymnasien. Dort beträgt sie 27 Prozent.

Am anderen Ende der Skala finden sich 21 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die große Mühen haben, Texte zu lesen und zu verstehen. Auf Schulen, die kein Gymnasium sind - also etwa Gemeinschafts- oder Realschulen - sind es sogar 29 Prozent. Tendenz auch hier: steigend. Die Studienautoren sprechen von einem "besorgniserregenden Befund" - zumal sich große Unterschiede nicht nur beim Vergleich der Schularten finden, sondern auch dann, wenn man Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund vergleicht. Mehr als die Hälfte der Einwanderer erster Generation beherrscht das Lesen nur eingeschränkt.

3. Ob ein Schüler gute Leistungen erzielt, hängt nach wie vor stark von seiner Herkunft ab

In kaum einem Land schlägt die soziale Herkunft so stark auf den Bildungserfolg der Jugendlichen durch wie in Deutschland. Was die Chancengerechtigkeit des hiesigen Schulsystems anbetrifft, zeichnet auch Pisa 2018 ein unschönes Bild.

So schneiden die Schülerinnen und Schüler mit besonders privilegierter sozialer Herkunft 113 Punkte vor ihren Altersgenossen aus besonders ungünstigen sozialen Lagen. Nur in drei OECD-Ländern ist der Abstand zwischen den Herkunftsgruppen größer. Im OECD-Schnitt liegt die Kluft zwischen den höchsten und niedrigsten Sozialschichten dagegen bei 89 Punkten.

Besonders besorgniserregend: Die Schere geht in Deutschland sogar wieder auf. Im Jahr 2009, als das letzte Mal die Leseleistung im Fokus der Pisa-Untersuchung stand, lag der Abstand zwischen benachteiligten und begünstigten Jugendlichen noch bei 109 Punkten. Die Herkunftsunterschiede in der Leseleistung sind also auf ohnehin hohem Niveau einmal größer geworden - ein Alarmsignal.

Pisa zeigt vor allem aber auch: Es ist nicht gesagt, dass ein Kind aus einer unteren Sozialschicht nicht über ein bestimmtes Kompetenzniveau hinauskönnte - die Herkunft limitiert also nicht per se, was für Schüler erreichbar ist. "Der soziale Hintergrund ist nicht immer ein Hinderungsgrund", sagt Andreas Schleicher, der Pisa-Koordinator. Das zeigt auch der Blick auf die Grafik: Die jungen Esten aus den untersten Sozialschichten schneiden zum Beispiel ähnlich gut ab wie die jungen Griechen aus den privilegiertesten Familien.

4. Jeder dritte deutsche Schüler hält Lesen für Zeitverschwendung - deutlich mehr als im OECD-Schnitt

Pisa interessiert sich nicht nur für die Lesekompetenz der Schüler, sondern auch für ihre Lust am Lesen. In Deutschland ist die allerdings nicht besonders ausgeprägt.

Etwa die Hälfte der 15-Jährigen weist laut Pisa-Studie eine "eher instrumentelle Lesemotivation" auf. Das heißt: Sie lesen nur, wenn sie müssen oder um an Informationen zu kommen. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen hält Lesen für Zeitverschwendung, im OECD-Schnitt sind es 28 Prozent. In Deutschland reden 24 Prozent gerne mit anderen Leuten über Bücher, im OECD-Schnitt sind es 37 Prozent. Nur einer von zwanzig Jugendlichen zählt sich in Deutschland zu den Viellesern, die auf mehr als zwei Stunden am Tag kommen - zum Vergnügen.

Der Trend zum Lesemuffel ist weltweit zu beobachten, in Deutschland ist er besonders stark. Einen Zusammenhang zwischen Lesefreude und Lesekompetenz ergibt die Studie allerdings nicht. In Mexiko, Griechenland und der Türkei lesen Jugendliche besonders gern - aber nicht besonders gut.

5. Jungen sind nicht mehr automatisch gut in Mathe oder Naturwissenschaften

Insgesamt gehen die Ergebnisse zwischen den Schülern in Deutschland sehr stark auseinander - zwischen Schulformen, sozialen Schichten, aber mitunter auch recht deutlich zwischen den Geschlechtern. Die Jungen, sagt die deutsche Pisa-Leiterin Kristina Reiss, verdienten besondere Aufmerksamkeit. So zeigen sich bei der aktuellen Pisa-Runde Verschiebungen im Vergleich zu vorherigen Erhebungen. Kurz gesagt: Die Jungen sind nicht mehr automatisch in den Bereichen gut, in denen sie bisher eher einen Vorteil hatten.

Zum Beispiel in den Naturwissenschaften. Die Jungen haben ihren Vorsprung eingebüßt, beide Geschlechter schneiden inzwischen gleich gut ab. Allerdings: Bei den Jungen gibt es deutlich mehr gute Naturwissenschaftler, aber auch deutlich mehr schlechte als bei den Mädchen. Vor allem der Anteil der Jungen im untersten Kompetenzbereich ist von 2015 bis 2018 stark gestiegen - von 15,9 Prozent auf jetzt 20,8 Prozent. Der Anteil der besonders schwachen Schülerinnen ist im gleichen Zeitraum konstant geblieben.

Auch in Mathematik ist der Vorsprung der Jungen in Deutschland geschrumpft - auch wenn sie im Schnitt immer noch etwas besser abschneiden.

Im Lesen hat sich der Vorsprung der Mädchen im Vergleich zur letzten Pisa-Studie etwas vergrößert. 2018 erreichten Mädchen in Deutschland beim Test im Schnitt 26 Punkte mehr als Jungen, 2015 lagen die Geschlechter im Mittel 21 Punkte auseinander. Insgesamt haben die Geschlechterunterschiede in der Leseleistung aber deutlich nachgelassen: 2009 lagen Jungen und Mädchen noch ganze 40 Punkte auseinander.

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