Waigel über die CSU und Europa:"Damit schwächen wir uns selbst"
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Kurz vor seiner Kür zum Ehrenvorsitzenden der CSU: Theo Waigel übt Kritik an Seehofers Anti-Europa-Kurs und spricht über Ehre und Intrigen in der Politik.
Der frühere Bundesfinanzminister und CSU-Chef Theo Waigel soll am Wochenende zum Ehrenvorsitzenden gekürt werden. Ruhig lässt er sein Amt nicht angehen: Waigel, ein überzeugter Europäer, rüffelt die Parteispitze wegen ihres europakritischen Kurses.
SZ: Herr Waigel, wo sind Sie gerade?
Theo Waigel: In Shanghai. Gerade war ich in Österreich, auf der Arabischen Halbinsel und in Brasilien. Ich bin von Siemens beauftragt, weltweit zu überprüfen, ob im Unternehmen nach Recht und Gesetz gearbeitet wird, damit der Vorwurf der Korruption nicht auftauchen kann.
SZ: Haben Sie da überhaupt noch Zeit für eine Nebentätigkeit? Immerhin will Sie die CSU am Freitag zu ihrem Ehrenvorsitzenden küren.
Waigel: Ich bin jetzt 70. Laut Ernst Jünger tritt man da ins biblische Zeitalter ein. Aber ich bin noch ganz rüstig. Ich pack' das schon.
SZ: Was bedeutet Ihnen das Wort Ehre?
Waigel: Viel. Menschen ohne Ehre tun mir leid. Man muss den aufrechten Gang bewahren, sich nicht das Rückgrat brechen lassen, sonst gibt man sich auf.
SZ: Gibt es in der Politik die Kategorie Ehre überhaupt?
Waigel: Ehre gibt es auch in der Politik. Und der Respekt vor meinen Gegenübern auch in anderen Parteien hat bei mir im Lauf der Jahre zugenommen. Mein Verhältnis zu Willy Brandt ist anders als vor 30 Jahren. Mit Hans-Jochen Vogel arbeite ich freundschaftlich zusammen. Zu Helmut Schmidt habe ich ein gutes Verhältnis und zu vielen Kollegen aus der CDU und der FDP.
SZ: Die CSU haben Sie erstaunlicherweise nicht genannt.
Waigel: Natürlich gibt es auch in der CSU ehrenvolle Menschen. Sonst wäre ich nicht seit 1960 Mitglied.
SZ: Gerade die CSU hat Ihnen übel mitgespielt. 1993, als Sie Ministerpräsident werden wollten, intrigierten Ihre Parteifreunde gegen Sie mit dem Argument, Sie hätten eine Freundin. Heute zieht so etwas nicht mehr.
Waigel: Ich sage nicht, dass jede Stunde oder Sekunde in der CSU schön war. Aber ich möchte keinen Zeitraum und kein Amt missen.
SZ: Sie waren den Intriganten damals ausgeliefert. Würden Sie heute die Dinge anders angehen?
Waigel: Ich würde vieles wieder so entscheiden, wie ich es getan habe. Es wäre falsch gewesen, mich auf deren Niveau herabzubewegen. Aber ich hätte eine persönliche Entscheidung früher treffen und mich früher öffentlich zu Irene bekennen sollen. Das hätte meinen Gegnern den Wind aus den Segeln genommen.
SZ: Wird in der CSU noch immer aus dem Hinterhalt geschossen?
Waigel: Das war nicht die ganze Partei. Sonst wäre ich gegangen.
SZ: Haben Sie darunter gelitten, dass Sie nicht Ministerpräsident werden konnten?
Waigel: Im Nachhinein war es wichtiger und richtiger, dass ich in der Bundespolitik geblieben bin.
SZ: Sie wurden zum Vater des Euro.
Waigel: Das war eine einmalige Möglichkeit, politisch etwas zu bewegen.
SZ: Jetzt sagen Sie nicht, dass es wichtigere Ämter gibt als das des Ministerpräsidenten in Bayern!
Waigel: Ich weiß, dass Franz Josef Strauß das immer behauptet hat. Aber ich bin sicher, er wäre lieber Außenminister oder nochmal Bundesfinanzminister geworden.
SZ: Als ehemaliger Bundesfinanzminister sind Sie eigenartig still, wenn es um Kritik am derzeitigen Amtsinhaber Peer Steinbrück von der SPD geht.
Waigel: Ich habe Steinbrück nicht kritisiert, außer bei seiner martialischen Wortwahl gegenüber der Schweiz, Österreich und Luxemburg. Ich weiß, dass das Amt nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Ich wünsche ihm Fairness, so wie ich mir mehr Fairness gewünscht hätte, als ich nach der deutschen Einheit als Pleiteminister beschimpft worden bin. Er hat es nicht leicht.
SZ: Sie haben sich immer für Europa eingesetzt. Edmund Stoiber haben Sie sogar mit dem Rücktritt als Finanzminister gedroht, wenn er den Euro blockiert. Auch jetzt, in der Diskussion über den Lissabon-Vertrag, zeigt sich die CSU wieder sehr Europa-skeptisch - ist das der richtige Weg?
Waigel: Stoiber hat sich ja dann besonnen und dem Euro zugestimmt. Ich wünsche mir, dass die CSU nicht hinter die Politik Stoibers zurückfällt. Es muss in Sachen Lissabon-Vertrag nun eine vernünftige Einigung zwischen der CSU und den anderen Parteien geben.
SZ: Noch vor der Wahl, so wie es die Kanzlerin will?
Waigel: Noch vor der Wahl.
SZ: Das sieht Horst Seehofer aber ganz anders.
Waigel: Jeder, der schon einmal in Brüssel am Verhandlungstisch gesessen hat, weiß, dass man dort ein Quantum Freiheit benötigt, um Kompromisse zu schließen. Man kann nicht nach jeder Verhandlungsrunde beim zuständigen Ausschuss des Bundestags nachfragen, ob die einverstanden sind. Das macht einen zur "lame duck", damit schwächen wir uns selbst. Das kann die CSU nicht wollen.
SZ: Offensichtlich hat Seehofer Sie nicht vorher um Rat gefragt, bevor er sich in Sachen Europa festlegte. Für was braucht er eigentlich einen Ehrenvorsitzenden?
Waigel: Da müssen Sie Horst Seehofer fragen. Ich habe mich nicht um das Amt beworben, die CSU hat es mir angetragen.
SZ: Was hat die CSU von einem Ehrenvorsitzenden Waigel zu erwarten?
Waigel: Klare Worte, ich werde mich nicht mehr ändern. Und wenn ich eine Meinung habe, dann sage ich sie auch.
SZ: Hat sich die CSU sehr verändert?
Waigel: Veränderung gehört dazu, aber die Grundlinien müssen bleiben. Dafür will ich eintreten. Die CSU muss eine bayerische Partei bleiben, aber sie muss eine Europa-freundliche Partei sein und nicht die Fortsetzung der Bayernpartei auf europäischer Ebene. Damit würde sie sich klein machen. Und das würde ihr nicht gerecht.
SZ: Sie werden demnächst mit Ihrem alten Widersacher Stoiber Seit' an Seit' den Ehrenvorsitz einnehmen. Eine schöne Vorstellung?
Waigel: Wir sind kein Tandem. Wir sind eigenständige Persönlichkeiten. Als er Ehrenvorsitzender wurde, habe ich für ihn gestimmt. Er hat's verdient.
SZ: Es gibt Menschen, die lieben ihr Land. Welche, die lieben ihre Partei. Und solche wie Bundespräsident Gustav Heinemann, die ihre Frau lieben. Wie halten Sie's? Ist die CSU Ihre alte Liebe?
Waigel: Ich halte es mit Heinemann: Ich liebe meine Frau. Mit der CSU fühle ich mich identisch und verbunden. Und ich verdanke ihr viele gute, echte Freundschaften.