Süddeutsche Zeitung

Freie Wähler in Bayern:Koalitionsstreit? Iwo, alles Folklore

Lesezeit: 1 min

Die Freien Wähler erheben Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz, an dem die CSU im Bund beteiligt ist. Drohen da ernsthafte Zerwürfnisse? Vielleicht verfolgt Hubert Aiwanger mit dem Schritt einfach ganz andere Ziele.

Kommentar von Johann Osel

Ja mei, die Freien Wähler halt, sollen sie auch mal a bissl stänkern dürfen. Das hat zwar Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) neulich nach dem Kabinett nicht gesagt. Aber sein Vortrag auf die Frage, wie das nun sei mit dem Koalitionspartner und dessen Verfassungsklage gegen die Bundesnotbremse, hörte sich in etwa so an.

Ja, die CSU habe da eine andere Ansicht, Ja, notfalls Enthaltung im Bundesrat. Nein, konkrete Folgen werde das keine haben, es handele sich um ein Einspruchsgesetz. Die geringen Erfolgsaussichten von Verfassungsbeschwerden dürfte auch Herrmann kennen. Und Koalitionsstreit generell durch die Causa? Iwo!

Tatsächlich hat es die Bayernkoalition, wie sich das Bündnis aus CSU und Freien Wählern nennt, geschafft, das Wort Koalitionsstreit neu zu interpretieren. Aus anderen Ländern weiß man: Zieht Knatsch auf, kann sich dieser zum Knall auswachsen, womöglich droht gar ein Bruch. Für die überregionale Presse ist das Wort Koalitionsstreit also Alarmzeichen, sich besser den Feierabend freizuhalten. In Bayern läuft das nach eigenen Regeln. So sei für alle erklärt, die am Donnerstag nervös den Berliner Auftritt von Hubert Aiwanger, FW-Bundeschef und Vize-Ministerpräsident, zur Verfassungsklage verfolgten: In München wird nix wanken!

Aufbegehren der FW gehört in der Koalition zur Folklore, gerade in der Pandemie. Im Zweifel tagt der Mini-Koalitionsausschuss - wie im Januar, da gab es Dissens zur Gastronomieöffnung. Der Konflikt wurde heruntergedimmt beim Waldspaziergang von Ministerpräsident Markus Söder und Aiwanger, in dessen eigenem Wald in Niederbayern. Bratwürste danach waren quasi die Friedenspfeife.

Also Auftritt Aiwanger, Bundespressekonferenz: "Anmaßend" sei es, dass der Bund es besser zu wissen meine als die Landräte. "Die" Politik entkoppele sich vom Bürger, die CSU singe "das Bundeslied", ein "demokratieschädliches" Gesetz. Die CSU reagierte darauf: mit Kenntnisnahme. Auf jeden Fall dient der Auftritt Aiwanger aber als Wahlkampfstart.

Die FW wollen diesmal endlich in den Bundestag, ein Landtagseinzug in Rheinland-Pfalz gab Aufwind. Aiwangers Strategie wohl in diesem Wahlkampf: Ein Corona-Meckerer ohne querdenkerische Extreme. Eine Partei nah an der Union, aber mit "Man wird doch wohl noch sagen dürfen"-Attitüde. Und dass seine FW die einzige Alternative seien, um Schwarz-Grün zu stoppen. Vielleicht wird bis September noch mancher Waldspaziergang fällig.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5272460
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.04.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.