Süddeutsche Zeitung

Taufkirchen an der Vils:Abschiebestopp um 22.07 Uhr

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Von Korbinian Eisenberger, Taufkirchen an der Vils

Es ist eine Stunde nach Mitternacht als ein Mann mit weißem Kittel und Papierzetteln in der Hand über das Gelände läuft und ein Gebäude betritt. Wichtige Dokumente, möglicherweise, zu dieser späten Uhrzeit. Im Haus 10 soll in dieser Nacht ein Mann aus der Psychiatrie abgeschoben werden, gegen zwei Uhr.

Am späten Abend ist die Abschiebung zwar außer Kraft gesetzt worden, das Bundesverfassungsgericht hat sein Veto eingelegt. Doch es ist unklar, ob die Polizisten, die den Mann abholen sollen, diese Nachricht noch erhalten haben - oder ob sie gleich vor dem Haus mit der Aufschrift "Akutpsychiatrie" stehen. Deswegen brennt in der Klinik noch Licht.

Es geht um einen Mann aus Nigeria, dessen Asylantrag abgelehnt wurde und der Deutschland verlassen soll. Seit dem 12. Mai ist er in der Isar-Amper-Klinik in Taufkirchen an der Vils untergebracht, wie seine Anwältin bestätigt. "Die Ärzte dort sind der Ansicht, dass er nicht transportfähig ist", sagt Juliane Scheer, Fachanwältin für Migrationsrecht. Die Bezirksklinik will sich wegen der Schweigepflicht nicht zum Gesundheitszustand äußern.

Anwältin Scheer unternimmt am Donnerstag den entscheidenden Schritt. "Als ich gehört habe, dass in der Nacht was passieren könnte, habe ich einen Eilantrag an das Verwaltungsgericht gestellt", sagt sie, das war um 15.40 Uhr. Drei Stunden später dann die Ablehnung aus München. Das Verwaltungsgericht bezieht sich in seiner Begründung auf zwei "ausführliche und schlüssige Gutachten" einer "Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie" vom 10. Februar 2017 und vom 23. März 2017. Diese würden "die vollumfängliche Reisefähigkeit des Antragstellers" bestätigen.

Aus Anwältin Scheers Sicht jedoch ist eine Stellungnahme der behandelnden Ärzte vom 20. Juli über die Reisefähigkeit ihres Mandanten plausibler, auch weil der Patient 49 Jahre alt ist "und damit kaum in die fachärztliche Zuständigkeit einer Kinderärztin fallen dürfte", sagt Scheer. Weil bei der nächsthöheren Instanz, dem bayerischen Verwaltungsgerichtshof, am Donnerstagnachmittag niemand mehr erreichbar ist, stellt sie ihren Antrag auf einstweilige Anordnung an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Um 22.07 Uhr kommt von dort ein Beschluss, der diese Einschätzung teilt. Die Stellungnahme der Taufkirchener Klinik beinhalte eine Diagnose, die zum Zeitpunkt der Gutachten aus dem Frühjahr noch nicht vorlag, heißt es. Daher werde die Abschiebung des Mannes zunächst "für sechs Monate untersagt".

Zwei Uhr früh, die Gebäude auf dem Klinikgelände sind finster, nur das Haus mit der Nummer 10 ist im Mitteltrakt voll beleuchtet, eine Schwester lugt immer wieder auf die verglaste Eingangstür. Für diese Zeit haben sich die Polizisten angekündigt, veranlasst hat das die Ausländerbehörde des Landratsamts Ebersberg, in deren Gebiet wohnte der 49-Jährige, bevor er in die Klinik kam. Aus Ebersberg heißt es auf Nachfrage, dass der Ausländerbehörde "bis zuletzt keine Gründe für eine Aussetzung der Abschiebung" vorlagen.

2.15 Uhr, der Mann mit dem weißen Kittel sperrt ab. Die Polizisten sind nicht gekommen.

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Quelle:
SZ vom 22.07.2017
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