Süddeutsche Zeitung

Integration:Hanns-Seidel-Stiftung veröffentlicht CSU-kritische Studie nicht

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Von Lisa Schnell, München

Jeden Tag denkt Omar an seine Frau und seine zwei Kinder. Nur eine Tochter konnte er mitnehmen. Der Rest seiner Familie ist in Syrien - im Krieg. Omar ist in Bayern, in Sicherheit und in Sorge. Jeden Tag seit 2015 wünscht sich der 38-Jährige, dass seine Familie zu ihm kommen darf - vergebens. Die ersten zwei Jahre in Bayern waren für ihn wie verloren. Er stürzte in eine Depression. Omar wollte Deutsch lernen und ankommen, nur: "Wie kann man sich integrieren, wenn man sich immer um Kinder und Familie Sorgen macht?"

Wer seine Familie bei sich hat, der integriert sich besser. Flüchtlinge wie der Syrer Omar, die eine Bleibeperspektive in Deutschland haben, sollten deshalb frühzeitig über die Möglichkeiten eines Familiennachzugs informiert werden. So empfiehlt es eine Studie der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) von 2018, in der auch Omar befragt wurde und die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Dies mag auf den ersten Blick verwundern. Schließlich steht die HSS der CSU nahe, bei der sie nicht gerade in Jubelgeschrei ausbrechen, wenn Flüchtlinge vermehrt ihre Familien nachholen sollen. Auf den zweiten Blick aber ergibt dann doch wieder alles Sinn, denn: Die Studie wurde nie veröffentlicht.

Schon im April 2018 wurde sie fertiggestellt, auf eine öffentlichkeitswirksame Präsentation aber, wie es die HSS 2016 mit der Vorgängerstudie zu Asylsuchenden in Bayern tat, wurde diesmal verzichtet. Dies könnte daran liegen, dass sich darin mehrere Ratschläge finden, die sich mit der Asylpolitik der CSU kaum decken. So sprechen sich die Sozialwissenschaftler Sonja Haug und Dominik Huber von der Technischen Hochschule Regensburg etwa gegen große Gemeinschaftsunterkünfte und für eine dezentrale Unterbringung aus. Auch den von der CSU vehement abgelehnten "Spurwechsel" befürworten sie. Er soll Asylbewerbern, die gut integriert sind, aber schlechte Bleibeperspektiven haben, ermöglichen, in Deutschland zu bleiben.

Ihre Erkenntnisse zogen die Wissenschaftler aus qualitativen Interviews aus dem Jahr 2017 mit elf Asylbewerbern aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die sie schon einmal 2016 befragten. Die Studie ist zwar nicht repräsentativ, aber doch aussagekräftig. Zum ersten Mal liegt mit ihr eine Langzeitbeobachtung von Asylbewerbern und ihren Erfahrungen in Bayern vor. Aus ihren exemplarischen Geschichten erhoffen sich die Forscher aufschlussreiche Hinweise darauf, wie Integration in Bayern funktioniert. Die Ergebnisse geben Hoffnung, dass Integration gelingen kann, ernüchtern aber auch, etwa wenn es um das Ziel geht, möglichst vielen Flüchtlingen eine Berufsausbildung zu ermöglichen.

Dies sei für einen größeren Teil wohl nicht realistisch, heißt es in der Studie. Die meisten Asylbewerber seien daran interessiert, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, meistens im Niedriglohnsektor. Auch beim Spracherwerb sind die Ergebnisse eher desillusionierend. Innerhalb von einem Jahr konnten die Forscher bei der sprachlichen Integration "noch nicht sehr viele Fortschritte feststellen". Dies liegt zum einen an Schwierigkeiten, die von den Interviewten schon 2016 beschrieben wurden. Nur einer hatte damals einen positiven Asylbescheid und dufte an einem Integrationskurs teilnehmen. Alle anderen waren auf Deutschkurse angewiesen, die von Helferkreisen organisiert wurden. Die lange Wartezeit zur Teilnahme an Sprachkursen sei von den Asylsuchenden als Belastung beschrieben worden, ebenso wie die Unterbringung in Massenunterkünften mit bis zu 300 Bewohnern, in denen ihnen die Konzentration schwer fiel.

Die deutsche Sprache, der Schlüssel zur Integration

"Im Iran würde man nicht mal 300 Hühner in den gleichen Ort stecken, weil die krank werden", sagte einer im Interview. Alle Befragten gaben an, dass die deutsche Sprache für sie der Schlüssel zur Integration sei. Innerhalb von einem Jahr hatten alle von ihnen einen Deutschkurs begonnen oder abgeschlossen. Allerdings machten nur zwei, die einen sehr hohen Schulabschluss vorweisen, gute Fortschritte, der Rest stehe mit seinem Deutsch noch ziemlich am Anfang. Die meisten seien "lernungewohnt" und "nicht ausreichend alphabetisiert". Einige brachen ihre Kurse ab oder besuchten sie nur sporadisch. Die Forscher empfehlen, die Teilnahme in Zukunft verpflichtend zu machen. Hoffnung gibt, dass die Kinder der Asylbewerber, unabhängig vom Bildungsniveau ihrer Eltern, keine Probleme beim Erlernen der deutschen Sprache hatten.

Wer nicht wirklich Deutsch kann, dem fällt der Kontakt zu Deutschen schwer. Und so stellen die Forscher auch bei der sozialen Integration keine wesentlichen Erfolge fest. Unterschiede gab es zwischen den Geschlechtern und beim Bildungsniveau. "Höhere Bildung ging in der Regel mit mehr Kontakten mit Deutschen einher", heißt es in der Studie. Während Männer fast ausschließlich mit Männern aus dem gleichen Herkunftsland oder ihrer Unterkunft zu tun hatten, konnten die befragten Frauen vielschichtigere Kontakte aufweisen. Sie schlossen Bekanntschaften in Frauengruppen oder am Kinderspielplatz. Kontakt zu Deutschen aber bekämen die meisten nur über Helferkreise. Um dies zu ändern, schlagen die Forscher Begegnungsplattformen und die Öffnung von Vereinen für Migranten vor. Denn: Nur wenn Deutsche und Asylbewerber sich näher kennen, könnten Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut werden.

Als ein weiteres Integrationshindernis wird die Unsicherheit über den Asylstatus genannt. Wer nicht weiß, ob er bleiben darf, weiß oft nicht, warum er sich um eine Heimischwerdung bemühen soll. Die Ablehnung ihres Asylantrags führe bei vielen zu Resignation, heißt es in der Studie. Etwa bei Amir, 24, aus Afghanistan. Vor seiner Ablehnung ist er zum Sprachkurs gegangen und hat viel gelernt, erzählt er: "Dann kam das Nein, und seitdem kann ich nichts mehr." Den gegenteiligen Effekt hätten dagegen positive Signale zum Asylstatus. Es sei deshalb sinnvoll, die Bleibeperspektive an sprachliche oder berufliche Integration zu knüpfen. So lautet eine weitere Empfehlung der Wissenschaftler, die nicht recht zur CSU-nahen HSS passen mag und deshalb der Öffentlichkeit wohl nicht mitgeteilt wurde. Nur ein erlesener Kreis von Ministerialbeamten durfte sie lesen. Ob die Erkenntnisse bis an die Spitze der Ministerien drangen, ist nicht bekannt.

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SZ vom 01.03.2019
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