Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise in Straubing:Keine Volksfeste, kein Umsatz, kein Lebensgefühl

Lesezeit: 3 min

Den bayerischen Schaustellern drohen schon wieder die Jahreseinnahmen wegzubrechen. Die Absage des Gäubodenfests ist für eine Familie wie die von Andreas Pfeffer nur eine schlechte Nachricht von vielen.

Von Lisa Schnell und Felix Schwarz, Straubing

Es ist ein Anblick, der schwer auf der Seele lastet, sagt Andreas Pfeffer. Er spricht davon, wie er die Tür aufmacht von einer Lagerhalle. Er sieht den Wagen, aus dem er immer gebrannte Mandeln verkauft, jetzt steht er im Dunkeln. Genau wie die Schießbude mit den kleinen Plastiksternen an der Tafel und den Luftgewehren. Am härtesten aber ist für Pfeffer der Anblick seines Wohnwagens in der Halle. "Eng, kuschelig und gemütlich" kommt es ihm da sonst vor. Wenn er jetzt die Tür öffnet, ist es "kalt und dunkel". Es ist der Moment, in dem in Andreas Pfeffer die Angst hochkriecht, "dass die Dinger irgendwann nie wieder rausgeholt werden".

Andreas Pfeffer ist Schausteller, man könnte sagen seit 50 Jahren. Denn schon als Baby lag er im Wagen und sah seiner Mutter dabei zu, wie sie Tüten voll Mandeln aus dem Fenster nach unten zu den Volksfestbesuchern reichte. Seit etwa hundert Jahren verkauft seine Familie am Straubinger Gäubodenfest. Auch dieses Jahr haben sie ihre Wagen rausgeholt und sie fit gemacht für die Saison. Sie haben das Holz geschliffen und eingelassen, die Gasanlage gewartet. Sie hätten sofort loslegen können. Aber dann haben sie ihre Wagen einfach wieder reingefahren in die dunkle Lagerhalle und die Tür zugemacht.

Es gibt kein Gäubodenfest, das größte Volksfest nach dem Oktoberfest in München ist abgesagt wegen Corona - schon wieder. Es ist jetzt die zweite Volksfestsaison, die dem Virus zum Opfer zu fallen droht. Der Osterplärrer in Augsburg wurde schon gestrichen, das Frühlingsfest in Nürnberg auch, genau wie die Maidult in Regensburg und die Bergkerwa in Erlangen. Was das für das größte aller Feste in München heißt, wo die Welt so gerne zu Gast ist, hat der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gerade kurz zusammengefasst: Wiesn? "Unwahrscheinlich."

So wie es aussieht, verstauben Lederhosn und Dirndl im Schrank dieses Jahr noch ein wenig mehr. Massenansammlungen in Bierzelten und in engen Festgeländegassen scheinen undenkbar, vorausgesetzt es geschieht nicht noch ein Impfwunder. Millionen Volksfestgäste verpassen eine große Feier und einen noch größeren Rausch, bei Schaustellern wie Andreas Pfeffer fehlt ein Jahresumsatz.

Sonst sind er und seine Frau auf bis zu zwanzig Volksfesten im Jahr. Und jetzt? "Nix", sagt Pfeffer. Er versteht, dass es in einer Pandemie keine Massenveranstaltungen geben kann, trotzdem sei es bitter. Die letzten Einnahmen als Selbstständiger hatte er im Oktober 2019, als er in Abensberg am Gillamoos seine Süßigkeiten anbot. 2020 fiel nahezu der gesamte Jahresumsatz aus, 2021 werde es ähnlich laufen, sagt er. Ihre Altersvorsorge und die Sparbücher seien letztes Jahr schon draufgegangen, dieses Jahr bleibe nur die staatliche Hilfe.

Auch Kollegen von Pfeffer wie Patrick Zinnecker mit seinem Fahrgeschäft überlegen, ob sie dieses Jahr ihr Altersvorsorge auflösen müssen - zu groß ist der finanzielle Druck. "Aktuell leben wir von der Hand in den Mund", sagt auch Günter Haimerl, dessen Familie seit 1918 auf dem Gäubodenfest vertreten ist. Die Schausteller hoffen auf die Weihnachtssaison und abgespeckte Versionen der Volksfeste später im Jahr - und dass es bis dahin mit dem Impfen entscheidend vorwärtsgeht.

Aber Pfeffer, der auch Vizepräsident der deutschen Schausteller ist, möchte nicht nur meckern. Am Anfang seien die Hilfen nicht auf eine Branche wie die Schausteller ausgelegt gewesen, aber es sei besser geworden: "Wir haben viel Gehör gefunden." Die Fixkosten übernehme der Staat, wer mittlerweile keine Fixkosten mehr habe, bekomme 7500 Euro für sechs Monate. Ohne die Hilfen, sagt Pfeffer, "wären wir nicht mehr da." Nur: "Zum Sterben sind sie zu viel, zum Leben zu wenig."

Aber er möchte gar nicht nur über Geld reden, das Gäubodenfest in Straubing, der Gillamoos in Abensberg, all die anderen Volksfeste in Bayern, von denen ein paar sein Urgroßvater gegründet hat, bedeuteten für ihn mehr. "Das ist ein Lebensgefühl", sagt Pfeffer und erzählt vom letzten Fest 2020, auf dem seine Frau verkaufte. "Da waren kleine Kinder, die haben geweint, weil sie wieder mal Karussell fahren durften", sagt Pfeffer: "Herzzerreißend." Seine Frau kommt ebenfalls aus einer alten Schaustellerfamilie, das macht das gemeinsame Leben einfacher. Pfeffer vermisst die Menschen an seinem Stand, ihre Freude, aber auch das Drama, wenn das Bier zu viel war, wenn der Mann einem anderen Dirndl hinterherschaut.

Die Stadt Straubing hat angekündigt, dass es eventuell eine coronakonforme Alternative geben soll. Pfeffer hat schon alles besorgt, Plexiglasscheiben und Desinfektionsmittel. In seinen Wohnwagen hat er, wie immer, zwei Suppenbüchsen und eine Packung Kaffee gelegt. Damit sie sofort loskönnen. Wann auch immer.

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Quelle:
SZ vom 28.04.2021
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