Süddeutsche Zeitung

Tag der Muttersprache:Blaukraut statt Rotkohl

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Sprachexperten monieren, dass immer mehr Dialektsprecher diskriminiert werden und selbst Ministerien hiesige Sprachvarietäten ignorieren. Das verheißt nichts Gutes für die Bewahrung des kulturellen Erbes.

Von Hans Kratzer

Allen Fleißigen, die sich der Holzarbeit im Wald widmen wollen, sei empfohlen, sich vorher die Lehrfilme der Bildungseinrichtung Laubau der Bayerischen Staatsforsten anzuschauen (Youtube). Versierte Waldarbeiter erklären in diesen Filmen, wie man Gefahren bei einer Holzfällung vermeidet. Ihre Erläuterungen sind bestens verständlich, und das, obwohl sich die Experten ausschließlich ihrer mittelbairischen Mundart befleißigen.

Der Sprachverein "Bund Bairische Sprache" verweist mit Blick auf den Tag der Muttersprache (21. Februar) gerne auf dieses Beispiel, um zu belegen, dass eine komplizierte Fachterminologie auch mit den Mitteln der Mundart allgemein verständlich erklärt werden kann. Das wiederum konterkariert den Trend, dass Sprecher mit regionaltypischer Klangfarbe häufig diskriminiert werden.

Der Linguist Werner König (Uni Augsburg) hat diesbezüglich viele Belege gesammelt. Etwa jenes aus einem Berufungsverfahren für einen Lehrstuhl an einer bayerischen Universität, bei dem eine Bewerberin abgelehnt wurde, weil sie nicht richtig Hochdeutsch spreche - dabei hatte sie lediglich den A-Laut etwas dunkler ausgesprochen als die anderen Kandidaten.

Es sei nicht hinnehmbar, sagen die Sprachbewahrer, dass die Gesellschaft - zurecht - immer sensibler auf mögliche Diskriminierungen reagiere, aber gleichzeitig eine Lehrstuhlinhaberin in ihrer eigenen Heimat abgewertet werde, weil sie die alte Kultursprache ihres Landes pflege.

Zum Tag der Muttersprache fordert der Verein, dass künftig derlei Diskriminierungen auch von staatlicher Seite entgegengewirkt werde. Dass die Verwendung der regionalen Hochsprache selbst für die Bayerische Staatsregierung nicht selbstverständlich ist, zeigt das Landwirtschaftsministerium, das aktuell für den Kauf von saisonalem Gemüse wie Karotten, Rote Bete und Rotkohl wirbt. Dabei spreche man in Bayern hochsprachlich korrekt von Gelben Rüben, Rote Rüben und Blaukraut.

Der Sprachwissenschaftler Anthony Rowley unterstrich einst die große Bedeutung von Dialekten für die Bewahrung des kulturellen Erbes und Charakters von Menschen und Regionen. Letztlich geht es immer um den Begriff Muttersprache, der laut dem Wiener Sprachwissenschaftler Stefan-Michael Newerkla "auch stark ideologisch konnotiert ist, weil er Sprache gleichsam auf Abstammung zurückführt".

Gerhard Polt empfiehlt sogar einen Fluch-Unterricht

Andererseits: Kinder, die zweisprachig aufwachsen - in Deutschland gibt es Millionen solcher Fälle - gelten als bilingual. Am Bielefelder Institut für frühkindliche Bildung versichert man, dies sei kein Nachteil, und das gilt auch für Dialekte. Die Forscher sind überzeugt, dass eine solche Sprachmischung "eine sehr kreative Nutzung der gesamten sprachlichen Kompetenz ist" - und kein Defizit.

Eine ähnliche Meinung vertritt auch der Kabarettist Gerhard Polt, der , wie er dem Münchner Merkur sagte, sogar einen Fluch-Unterricht in der Schule begrüßen würde. "Wenn Lehrerinnen oder Lehrer mit ihren Kindern durchnehmen würden, wie man schmähen lernt; wenn sie sie einführen würden in die Kultur auch des Beleidigens, wie sie war, wie sie sich ändert oder wie sie sein könnte, das wäre wunderbar", sagte er. Man fluche oft im Dialekt, "weil die Mundart die körperlich und seelisch nähere Sprache ist."

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