Süddeutsche Zeitung

Rothenburg ob der Tauber:Käthe Wohlfahrt und die Weihnachts-Krise

Lesezeit: 4 min

Die Firma Käthe Wohlfahrt handelt mit Weihnachtsdeko - und war wegen Corona vor einem Jahr so gut wie pleite. 2021 sollte alles besser werden, dann kam die vierte Welle. Warum sie trotzdem weiter an Weihnachten glauben.

Von Maximilian Gerl, Rothenburg ob der Tauber

Im Sommer 2020 begann Harald Wohlfahrt nach eigener Aussage, verschiedene Szenarien durchzukalkulieren. Auch den Worst Case. Was wäre, wenn wegen Corona die für den Umsatz so wichtigen Weihnachtsmärkte ausfielen? Wenige Monate später passierte genau das - und Wohlfahrt flüchtete im Dezember mit seiner Firma Käthe Wohlfahrt unter den staatlichen Schutzschirm, um die Insolvenz abzuwenden. "Das war eine schwierige Entscheidung", sagt er ein Jahr später. Rückblickend sei sie zwar "die einzige Chance" gewesen, aber: "Das ganze letzte Jahr möchte man eigentlich nicht erlebt haben."

Ein Händler von Weihnachtsdeko, der kurz vor Weihnachten so gut wie pleite ist und den es ein Weihnachten später trotzdem noch gibt: Das klingt, um im Bild zu bleiben, nach einem Weihnachtswunder - liefe nicht dieses zweite Weihnachten wieder so ganz anders als aus Vor-Corona-Zeiten gewöhnt. Das bekommt auch das Familienunternehmen Käthe Wohlfahrt mit seinen 280 Beschäftigten zu spüren. Noch mal, gewissermaßen.

Statt eines frohen neuen Jahres drohte ihnen der Rutsch in eine Abwärtsspirale

Wobei: Verglichen mit dem, was Senior-Chef Wohlfahrt in seinem Rothenburger Büro über die vergangene Weihnachtszeit erzählt, geht die laufende fast als bombastisch durch. Statt eines frohen neuen Jahres drohte Firma und Familie eine Abwärtsspirale. "Das wünsche ich keinem", sagt Wohlfahrt. So verlangten langjährige Partner und Dienstleister plötzlich Vorkasse, in der Sorge, auf unbezahlten Rechnungen sitzenzubleiben, dabei "waren wir eigentlich ja gesund". Dass die wirtschaftliche Not vor allem den Folgen der Pandemie zu verdanken sei, bestätigte damals auch der vorläufige Sachverwalter der SZ. Das Drinnen stimmte, nur das Außenrum war halt weg, als Deutschland in einen Winter-Lockdown taumelte, der bei vielen Firmen Löcher in die Bücher riss.

Dabei galt die Idee von Käthe Wohlfahrt mal als krisensicher. Mit dem Hochhalten deutscher Weihnachtstradition hat die Firma international ihre Nische gefunden. Sie stellt man sich vielleicht am besten als Großhändler mit zwei Standbeinen vor; als einen Vollsortimenter, der gleichermaßen von Einheimischen wie Touristen lebt, vom Ganzjahres- wie vom Saisongeschäft. 15 Läden betreibt Käthe Wohlfahrt, in Berlin, Oberammergau, York, Brügge oder Barcelona. Im November und Dezember, wenn Lametta und Krippenfiguren besonders gefragt sind, kommen normalerweise zahlreiche Weihnachtsmärkte hinzu.

Mannshohe Christbäume und Holzpyramiden dominieren die Verkaufsräume

Vor allem in der Zentrale in Rothenburg ob der Tauber herrscht das ganze Jahr über Heiligabend. Über vier Häuser erstreckt sich das sogenannte Weihnachtsdorf, in dem Laden mit rund 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche droht in jedem Winkel die Reizüberflutung. Die Räume dominieren leuchtende Christbäume oder mannshohe Pyramiden. An der Wand reihen sich Räuchermännchen aus dem Erzgebirge, Glaskugeln, fein bemalte Holzfiguren, von der Decke klingt Besinnliches.

Ein ans Geschäft angeschlossenes Weihnachtsmuseum erklärt Adventsdeko im Wandel der Zeiten. Und weil Rothenburg, weltberühmt für Fachwerksfassaden, einst ohne Urlauber unvorstellbar war, ticken in einem überdachten Innenhof Kuckucksuhren und glänzen Bierkrüge. Reisende sind an diesem grauen Dezembertag allerdings kaum in der Stadt. Den Marktplatz hat eine kleine Gruppe für sich allein.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die Firma über alle Geschäftsbereiche hinweg Einbußen von zusammen 70 Prozent. Zu viel. Die Rettung brachte im Frühjahr ein Sanierungsplan. Wohlfahrt teilt sich seitdem die Geschäftsführung mit seinen Kindern Aska, Kenta und Takuma. Ein Laden wurde geschlossen, 20 Mitarbeiterinnen mussten gehen. Finanzielle Hilfe kam von Verwandten und Freunden. Am Ende stand die Hoffnung, dass es wieder aufwärts geht. "Hätten Sie mich im September gefragt, wie sehen Sie den Ausblick", sagt Wohlfahrt, "dann hätte ich ganz klar gesagt: prima."

Wohlfahrt ärgert sich vor allem darüber, wie unvorbereitet Bayern in die vierte Corona-Welle rauschte

Dann baute sich trotz aller Warnungen die vierte Corona-Welle auf - und Christkindlmärkte, für die Wohlfahrt wie so viele Schausteller und Marktleute längst Ware bestellt und Standl errichtet hatte, wurden kurzfristig abgesagt oder verboten. Die Enttäuschung darüber haben sie bei Käthe Wohlfahrt auf zwei Seiten zu Papier gebracht, die der Senior-Chef am Ende des Gesprächs über den Tisch reichen wird. Vor allem ärgert er sich darüber, wie unvorbereitet Bayern und Deutschland in den Corona-Winter stolperten. "Wir hatten von der Politik immer wieder gehört, Weihnachtsmärkte kommen", sagt er. Darauf hätten sie sich verlassen. Und bei der versprochenen Hilfe sei bislang auch nicht nachgebessert worden. Er wolle nicht rumjammern, aber eine Frage will Wohlfahrt dann doch stellen: "Wer trägt den Schaden?"

Dabei fing alles mal mit einem Zufall an. 1963 wollte Wilhelm Wohlfahrt in Stuttgart amerikanischen Freunden eine Spieldose schenken. Weil es diese im Großhandel nur im Zehnerpack gab, versuchte er die übrigen neun in einer Kaserne der US Army zu verkaufen, indem er dort von Haustür zu Haustür zog. Die Militärpolizei nahm ihn prompt fest - empfahl aber auch, die Spieldosen auf den Wohltätigkeitsbasaren der Offiziersfrauen zu verkaufen.

Wohlfahrt folgte dem Rat. Ein Jahr später machten er und seine Frau Käthe sich selbständig, 1977 folgte der Umzug nach Rothenburg. Unter Sohn Harald Wohlfahrt wurde die Firma dann internationaler. Ein Foto zeigt ihn Anfang der 1980er-Jahre auf einer Tourismusmesse in Japan, neben seiner späteren Frau und verkleidet als Weihnachtsmann, im Sommer.

Wenn Heiligabend vorüber ist, geht die Arbeit weiter

An Weihnachten glauben sie bei Käthe Wohlfahrt trotzdem noch. So schlimm wie vergangenes Jahr wird es diesmal wohl nicht werden, auch dank der Geschäfte und Märkte im Ausland, die laut Takuma Wohlfahrt teils Umsätze wie 2019 generieren: "Da läuft es wirklich gut." Den Einstieg in die Firma hätten er und seine Geschwister sich trotzdem "komplett anders vorgestellt". Aber gelernt hätten sie in diesem Krisenjahr viel, auch Sachen, "die wir hoffentlich nicht noch mal anwenden müssen".

Doch die Sanierung wird langsamer voranschreiten als gedacht. Die fehlenden Einnahmen begrenzen den Spielraum für Investitionen. Unter anderem soll der Online-Verkauf, der bislang wenig zum Umsatz beiträgt, weiter ausgebaut werden. Von 2024 an will die dritte Generation alleine die Geschäfte führen.

Wenn Heiligabend vorüber ist, geht die Arbeit in Rothenburg also weiter. Mit Beginn des neuen Jahres müssen Weihnachtsdeko für die nächste Saison bestellt, Eigenentwicklungen bei Herstellern beauftragt, Messen besucht werden. Und auch in Rothenburg ist ja vielleicht mal wieder mehr los. Die Wohlfahrts hoffen, dass es dann ein verlässlicheres Konzept im Kampf gegen Corona gibt als in diesem Winter. Aber auch dafür steht ja Weihnachten: für Hoffnung - als ein Licht in trüben Zeiten.

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