Süddeutsche Zeitung

Regensburg:Kampf für die Unabhängigkeit

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Matthias Krieger ist seit seiner Jugend auf einen Spezial-Rollstuhl angewiesen. Nun verweigert ihm seine Krankenkasse ein neues Modell.

Von Elena Kolb, Regensburg

Matthias Krieger hat immer versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen. Der 35-jährige Regensburger ist kleinwüchsig und kämpft seit seiner Kindheit mit einer halbseitigen Lähmung. Mit einem Spezial-Rollstuhl fand er schließlich seinen Weg in die Selbständigkeit: Er arbeitet als Schreibkraft bei der Verkehrspolizei Regensburg und engagiert sich in der Lokalpolitik leidenschaftlich für Barrierefreiheit in Regensburg. Doch nun ist seine Freiheit in Gefahr, denn die Krankenkasse genehmigt keinen neuen Rollstuhl. So wie ihm geht es vielen Menschen mit Behinderung, die auf Hilfsmittel angewiesen sind, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Beim Sozialverband Bayern (VdK) kennt man das Problem. Rund elf Prozent aller VdK-Verfahren beträfen die Hilfsmittelbeantragung bei gesetzlichen Krankenkassen, sagt Claudia Spiegel, Abteilungsleiterin für Sozialpolitik beim VdK. "Gerade bei Rollstühlen haben Krankenkassen Spielraum und nutzen diesen häufig nicht zugunsten der Betroffenen", sagt sie. Krankenkassen seien gesetzlich dazu angehalten, wirtschaftlich zu handeln. Hinzu komme, dass verschiedene Kostenträger für unterschiedliche Lebensbereiche zuständig wären und die Verantwortung oft geschoben werde, so Spiegel.

Als Kleinkind wurde bei Krieger festgestellt, dass seine Wirbelsäule zu weit hoch in sein Hinterkopfloch gewachsen war. Dadurch wurden Nerven zu seiner linken Körperseite teilweise abgeklemmt. Seit er 13 ist, bekommt er einen speziell gefertigten Rollstuhl aus Schweden, mit dem er voll am Leben teilnehmen kann. Er besucht - vor Corona - in seiner Freizeit mit Freunden Eishockeyspiele und arbeitet seit elf Jahren bei der Verkehrspolizei Regensburg. Der 35-Jährige ist Vorsitzender des CSU-Ortsverbandes Steinweg-Winzer, auf seinem Handy hat er Selfies mit Ministerpräsident Markus Söder, dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Früher wurde ein Rollstuhl für Krieger von der Agentur für Arbeit finanziert und ein zweiter von der Techniker Krankenkasse (TK). Doch der Rollstuhl von der Agentur für Arbeit steht schon seit vergangenen Sommer kaputt in der Garage. Deswegen zog Krieger vor das Sozialgericht. Bisher wurde keine Entscheidung getroffen. Die Zeit drängt, denn auch der zweite Rollstuhl ist mittlerweile beschädigt. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der auch kaputtgeht", sagt Krieger. Ohne den Rollstuhl hat er Angst, seinen Job zu verlieren: "Ich kann ja nicht einfach sagen, ich komm jetzt nicht mehr." Da er mit vertraulichen Unterlagen arbeitet, kann er nicht ins Home-Office.

Die TK genehmigt nur die Übernahme der Reparaturkosten, nicht die Neuanschaffung eines Rollstuhls. Auf Nachfrage teilte die TK mit, eigene Reha-Techniker seien zu dem Schluss gekommen, dass die Reparatur wirtschaftlicher sei als der Ersatz. An dem Rollstuhl von Krieger seien keine "Seriendefekte" festzustellen, daher könne bei entsprechender Pflege und Wartung ein E-Rollstuhl wie der von Krieger "zehn Jahre und länger einwandfrei funktionieren", so die TK. Für die Reparatur aber müsste der Rollstuhl für mindestens acht Wochen nach Schweden und Krieger könnte das Haus nicht mehr verlassen. Also hat er im Juli 2020 dagegen Widerspruch eingelegt. Bisher kam keine Antwort von der TK. Im Gegensatz zur TK schätzt das Sanitätshaus von Krieger die Reparaturkosten höher und hält sie nicht mehr für wirtschaftlich. Weil der Rollstuhl so besonders ist, gibt es kein Ersatzmodell, das Krieger in gleicher Weise mobil macht.

Durch demografische Entwicklungen und technischen Fortschritt steigen der Bedarf und die Kosten für Hilfsmittel im Allgemeinen. Dies führe bei den Kassen aber häufig dazu, dass an Punkten mit Spielraum gespart werde, sagt die Grünen-Politikerin Kerstin Celina. Deshalb müssten Menschen mit Behinderung oft zusätzliche ärztliche Stellungnahmen einreichen oder lange für ihre Hilfsmittel argumentieren. "Das ist entwürdigend, entmutigend und trifft leider oft diejenigen am härtesten, die sich nicht gut wehren können", sagt Celina. Außerdem hätten deutsche Krankenkassen 2019 nur 3,8 Prozent ihres Gesamtbudgets für Hilfsmittel ausgegeben, erläutert Thomas Bannasch, Landesgeschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Bayern. Wenn aber Kostenträger sich besser absprechen und zusammenarbeiten würden, könnte viel Geld und Zeit gespart werden. "Wir haben da kein finanzielles, sondern ein strukturelles Problem", sagt Bannasch.

Matthias Krieger ist es wichtig, sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzusetzen. Er postet dazu auch viel auf Facebook. "Durch meine Behinderung habe ich immer sehr viel Hilfe bekommen. Seit ich klein war, wollte ich dafür etwas zurückgeben. Feuerwehrmann oder Rettungssanitäter kam ja nicht in Frage", sagt er. "In einer Zeit, in der Inklusion gesellschaftlich so hoch gewertet wird, möchte ich zeigen, dass es nicht immer so einfach für Menschen mit Behinderung ist, wie das manchmal dargestellt wird", sagt Krieger.

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SZ vom 11.03.2021
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