Süddeutsche Zeitung

Tourismus in Bayern:So funktioniert Aiwangers Ausflugsticker

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Mit dem System will der Wirtschaftsminister die Touristenströme lenken und verhindern, dass einzelne Regionen überrannt werden, während anderswo genügend Platz ist.

Von Matthias Köpf, München

Auch Prognosen für das Wochenende soll es geben, fast wie bei einem Wetterbericht. Wobei das Ausflügler-Aufkommen, das da für einzelne Orte und Regionen vorhergesagt werden soll, aus der Sicht mancher Einheimischer eher Unwettercharakter hat. An Tegernsee oder Walchensee etwa war zuletzt viel von Flut und Katastrophe die Rede. Solche Gegenbewegungen, dass man die Ausflügler nicht mehr sehen wolle, müssten vermieden werden, sagt Wirtschafts- und Tourismusminister Hubert Aiwanger (FW).

Schließlich trügen die Tagesausflügler rund ein Drittel zur gesamten Wertschöpfung aus dem Tourismus bei. Und so wie die Langzeiturlauber und Übernachtungsgäste "in der Regel informiert und gesteuert" seien, will Aiwanger nun auch diejenigen besser lenken, die sich vielleicht erst am Samstagvormittag ins Umland aufmachen. Gelingen soll das mit einem "Ausflugsticker", den Aiwanger nun von Oberbayern auf den ganzen Freistaat ausdehnen will.

Das Vorhaben hat Aiwanger am Freitag der Presse vorgestellt. Die ursprüngliche Idee für den Ticker kam schon vor einigen Monaten vom kommunalen Tourismusdienstleister "Alpenregion Tegernsee Schliersee". Nicht nur dort hat man seit diesem Frühjahr viel mehr Tagesgäste registriert. "Diese aktuelle Situation der Pandemie hat ja vieles auf den Kopf gestellt", sagt der Rosenheimer CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Stöttner, der auch die Arbeitsgruppe Tourismus seiner Fraktion leitet und als Präsident des Verbands "Tourismus Oberbayern München" (TOM) amtiert.

Der Tagestourismus sei bis vor Kurzem "total unterschätzt worden", doch jetzt zeige sich, dass der nahe Naturgenuss, das Baden in den Seen und die Erholung in der Umgebung "einen ganz neuen hohen Stellenwert bekommen" hätten. "Die Stadt braucht das Land und wir brauchen die Stadt", unterstreicht Stöttner.

Der im Frühjahr in aller Eile zusammengestrickte oberbayerische Ausflugsticker solle die Gäste keineswegs abschrecken, sondern lenken, bekräftigt TOM-Geschäftsführer Oswald Pehel. Dies gilt im Kleinen, wenn etwa am Königssee alle Parkplätze belegt, aber an der benachbarten Jennerbahn-Talstation noch welche frei seien. Es gilt aber auch großräumiger, wenn auf dem Ticker statt dem oft scheinbar überfüllten Tegernseer Tal etwa die bisher von Ausflüglern keineswegs überrannte Tourismusregion Inn-Salzach mit ihren eigenen Attraktionen lockt. Von diesen Attraktionen hebt Inn-Salzach-Geschäftsführerin Andrea Streiter als herausragende Beispiele nur die längste Burg der Welt in Burghausen hervor. Oder das Herz von König Ludwig II., das separat vom Kini in der Gnadenkapelle in Altötting beigesetzt ist.

Noch müssen die Informationen per Hand eingepflegt werden - irgendwann soll alles automatisch laufen

Ähnlich wie die Region östlich von München will man auch nördlich der Landeshauptstadt mit dem Ausflugsticker auf die eigenen Attraktionen aufmerksam machen, und nach Aiwangers Vorstellungen soll das nun in ganz Bayern so gehen.

Davon, dass das alles "in Echtzeit", mithilfe künstlicher Intelligenz und auch per Handy-App passiert, wie es dem Minister für künftige Versionen vorschwebt, ist der Prototyp aus Oberbayern freilich noch ein ganzes Stück entfernt. Noch würden alle Informationen für den Ticker von den einzelnen Tourismusregionen mühsam per Hand eingepflegt, sagt Oswald Pehel - zum Teil werde stündlich aktualisiert, wie zu Stoßzeiten bei der Parkplatzsituation am Königssee, mal seien die Abstände aber auch länger.

Irgendwann sollen aber auch Informationen aus Datenbanken automatisch in den Ticker einfließen. Wie aktuell die jeweilige Information wirklich ist, lasse sich im Moment aber immer am Zeitpunkt und Datum des jeweiligen Beitrags ablesen. "Mehr können wir an der Stelle nicht liefern", sagt Pehel über das am 30. Mai freigeschaltete System, das unter www.oberbayern.de/ausflugs-ticker zu finden ist und neben Staus und alternativen Angeboten auch Wartezeiten an Seilbahnen oder Museumskassen auflistet. Dass an dieses System nun auch die anderen Teile Bayerns andocken sollen, begrüßt der oberbayerische Tourismuswerber, auch wenn seine Region genug Möglichkeiten für alle biete.

Thorsten Schär von der Alpenregion Tegernsee Schliersee nimmt das auch für sein Operationsgebiet in Anspruch: "Platz ist da, auch rund um Tegernsee und Schliersee." Und auch das vergisst Schär nicht: Die Region mache mit den Ausflüglern im Schnitt 1,4 Millionen Euro Umsatz - pro Tag. Ob dort aber noch 70 Prozent der Einheimischen dem Tourismus positiv gegenüber stehen, wie dies laut Pehel Umfragen für ganz Oberbayern ergeben haben, ist offen. Dort würden aber wohl selbst die Skeptiker unterschreiben, dass es nur miteinander geht, wie es CSU-Mann Stöttner betont. Er lobt entsprechend den FW-Minister Aiwanger und nennt dessen Ticker nur leicht ironisch eine neue "Wunderwaffe". Aiwanger selbst blickt nach eigenen Worten auch in Zeiten der Corona-Krise mit einer gewissen Zuversicht auf den Tourismus. Da werde sich zwar "sehr vieles durchrütteln", aber die Branche werde im zweiten Halbjahr wohl vieles von den bisherigen Ausfällen wieder hereinspielen.

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SZ vom 18.07.2020
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