Süddeutsche Zeitung

Prozess in Nürnberg:"Er war sich bewusst, dass er an dem Tag hätte sterben können"

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Nach dem Mord in der Südstadt sucht das Gericht weiter nach dem Grund, warum ein Streit zwischen drei Männern in tödlichen Schüssen aus einer belgischen Armeepistole gipfelte. Als die Witwe des Getöteten spricht, hat der Angeklagte Tränen in den Augen.

Von Max Weinhold, Nürnberg

Sie hat es geahnt. Und er offenbar auch: "Er wusste, was passieren würde. Er war sich bewusst, dass er an dem Tag hätte sterben können." Das jedenfalls sagte die Witwe des Mannes, der im Oktober 2022 in der Nürnberger Südstadt erschossen wurde, nach der Tat in einem Telefonat mit der Schwester des Opfers, zu hören am Mittwoch in dem Mordprozess am Landgericht Nürnberg-Fürth.

Zum Streiten habe sich ihr getöteter Ehemann, 30, an jenem Oktoberabend mit dem nun Angeklagten, 29, und einem weiteren, bei der Tat schwer verletzten Freund, 35, getroffen. "Er war in letzter Zeit komplett in seinem eigenen Film drin", sagte die Witwe in dem abgespielten Telefonat. "Ich kann mich nicht erinnern, warum ich diese Aussage getätigt habe", widersprach sie nun und bestätigte lediglich, dass sich ihr Mann zuletzt weniger um die Familie gekümmert habe und zu Hause gewesen sei.

Es ist eine weitere verworrene Episode in einem Fall, der nach wie vor viele Fragen aufwirft. Zuvorderst: Warum stritten die drei Männer, die eigentlich einen Vertrieb von Shisha- und Tabakprodukten hatten aufbauen wollen? Und: Warum gipfelte dieser Streit in vier Schüssen aus einer belgischen Armeepistole, darunter einem tödlichen? Der Staatsanwaltschaft zufolge hatte der Angeklagte die anderen beiden Männer zu einer angeblichen Aussprache zu dem Treffen gelockt. Seine mutmaßliche Tat soll der Mann zwei Tage vorher angekündigt haben.

Der Fall hatte in Nürnberg "große Betroffenheit und Verunsicherung" ausgelöst, wie Mittelfrankens Polizeipräsident Adolf Blöchl nach der Festnahme des jetzt Angeklagten gesagt hatte - besonders in der türkischen Community, zu der die Opfer gehörten. Verunsicherung auch, weil der mutmaßliche Schütze erst drei Monate nach der Tat in Rimini gefasst wurde.

Noch zu Prozessbeginn im Dezember verfolgte der beschuldigte Türke, der als ukrainischer Flüchtling getarnt nach Deutschland eingereist sein soll, die Verhandlung nach außen hin auffallend entspannt. Am Mittwoch dann schluchzte er, als das Telefon abgespielt wurde; hatte Tränen in den Augen, während die Witwe erzählte, sie leide seit der Tat unter Angststörungen. Die Frau war zum Zeitpunkt des Mordes zum zweiten Mal schwanger. Die Geburt ohne ihren Ehemann sei traumatisch gewesen. "Es gibt Tage, an denen ich nicht realisiere, dass er nicht mehr lebt."

Warum, das will das Gericht an den noch ausstehenden 25 Verhandlungstagen klären. Ein Urteil soll Ende März fallen.

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