Süddeutsche Zeitung

Gewalt gegen Männer:"Du bist Luft"

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In Nürnberg gibt es eine Schutzstelle für Männer, die Opfer häuslicher oder sexualisierter Gewalt geworden sind. Was einer ihrer Bewohner erlebt hat und warum die Leiterin der Einrichtung gegen Vorurteile kämpfen muss.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Bei Hans Fernandez (Name geändert) fing es mit Respektlosigkeiten an. "Du bist Luft", sagte ihm seine Partnerin, mit der er in einer gemeinsamen Wohnung lebte. Aus Respektlosigkeiten wurden Beleidigungen, den Beleidigungen folgte Gewalt. In den Jahren, in denen er mit seiner Partnerin zusammen lebte, habe er wohl mehr Schläge einstecken müssen als in allen Lebensjahren zuvor, sagt der 40-Jährige, der seit März in der Nürnberger Männerschutzwohnung "Riposo" wohnt. Riposo ist italienisch für "Ruhe". An einem geheimen Ort finden dort bis zu sechs Monate Männer Obhut, die von sexualisierter oder häuslicher Gewalt betroffen sind.

Klar kennt Fernandez die Frage, warum das einer drei Jahre lang mitmacht - diese physische und psychische Gewalt. Hätte er nicht ausziehen können? Theoretisch schon, praktisch machte er zu der Zeit seine Ausbildung, lernte Deutsch, arbeitete fast rund um die Uhr. Da auch noch eine Wohnung suchen? Wollte er sich nicht zumuten und hoffte auf Besserung. Und zur Polizei gehen? Das habe er sich erst recht nicht antun wollen. Es gebe da dieses Vorurteil vom "spanischen Macho", sagt Fernandez. Er habe schlicht Angst gehabt, dass die Beamten nicht ihm glauben, sondern ihr. Und schlimmstenfalls lachen über ihn.

Zwar kam die Polizei tatsächlich irgendwann, aber nur weil seine Partnerin nach einer Auseinandersetzung die Polizei gerufen hatte. Fernandez - um die 1,90 Meter groß, schmale Figur - konnte an seinem Körper klare Anzeichen von körperlicher Gewalt nachweisen. In der gemeinsamen Wohnung aber konnte er trotzdem nicht mehr bleiben. Erst landete er im Obdachlosenheim. Danach bei Riposo. "Ich hatte noch Glück im Unglück", sagt Fernandez.

Die Sozialpädagogin Petra Zöttlein leitet bereits seit Jahren das Frauenhaus der Caritas in Nürnberg, seit 100 Tagen ist eine zweite Aufgabe hinzu gekommen: Projektleiterin einer Schutzwohnung für Männer, die von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind - oder von beidem. Seit Jahresbeginn gibt es zwei solche Einrichtungen in Bayern, die vom Sozialministerium unterstützt werden: eine in Augsburg und eine in Nürnberg, wo die Caritas für drei Männer und deren Kinder Rückzugsräume geschaffen hat, in denen Betroffene Hilfe, Beratung und Schutz finden. Alle Plätze in Nürnberg sind momentan besetzt, es gibt bereits weitere Interessenten.

Dass solche Schutzeinrichtungen, mitunter auch "Männerhäuser" genannt, notwendig sind, davon war Leiterin Zöttlein von vornherein überzeugt. Immerhin sind 18 von 100 Opfern von Gewalt Männer. Wobei Wissenschaftler nicht ausschließen, dass die Zahl noch deutlich höher ist, weil viele Männer Hemmungen haben, von ihren Leiden zu berichten. "Das Thema Gewalt ist sehr schambesetzt", sagt Zöttlein, "gerade bei Männern." Das Rollenbild sei da oft noch ein anderes, nicht umsonst werde ja immer noch vom angeblich "starken Geschlecht" gesprochen. Umso schwieriger sei es für Männer, Hilfe zu suchen.

Vor der Eröffnung der Schutzwohnungen wurden betroffene Männer in Nürnberg zur Beratungsstelle für Gewaltopfer geschickt, zum Übernachten mussten sie dann meist in die Notschlafstelle - gerade für Männer mit Kindern ein unhaltbarer Zustand. Bei "Riposo" kümmern sich Sozialarbeiter zum einen um die betroffenen Männer. Zum anderen aber auch um deren Kinder, die oft zu Hause Gewalt erlebt haben und erheblich traumatisiert sind.

Aus welchem Milieu die Männer kommen, die Hilfe suchen? Derzeit sind es vor allem Betroffene "aus der Mittelschicht", sagt Zöttlein. Als das Haus im Januar öffnete, hatten viele noch mit Unverständnis reagiert. "Männer können sich doch wehren", bekam Zöttlein unter anderem zu hören. Was sie weglächelte: "Es gibt offenbar wirklich Menschen, die der Überzeugung sind, dass keine Frau einem Mann jemals Gewalt antut." Je länger die Einrichtung existiert, desto seltener dürften solche Vorurteile werden, hoffen die Mitarbeiter.

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SZ vom 15.05.2020
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