Süddeutsche Zeitung

Möbelhaus:Ikea will weg von der Autobahn und rein in die Städte

Lesezeit: 2 min

Von Claudia Henzler und Christian Rost, Memmingen

Der überraschende Strategiewechsel von Ikea - weg vom klassischen großen Einrichtungshaus auf der grünen Wiese, hin zum Mitnahme-Möbelmarkt im Zentrum großer Städte - hat in Bayern insbesondere die Stadt Memmingen kalt erwischt. In der kreisfreien Stadt im Allgäu sollte am Autobahnkreuz A 96/A 7 ein 18 000 Quadratmeter großes Ikea-Einrichtungshaus mit Fachmarktzentrum entstehen.

100 Millionen Euro wollte der schwedische Möbelhersteller in Memmingen investieren und bereits Ende kommenden Jahres den neuen Standort eröffnen. Aber: "Diese Pläne sind vom Tisch", bestätigt Ikea-Sprecherin Chantal Gilsdorf. Und auch andere Projekte in Bayern sind von der Neuausrichtung des Unternehmens betroffen: der geplante Neubau in Nürnberg und das bestehende Einrichtungshaus in Eching bei München.

Ikea ist bekanntlich etwas mehr als ein Möbelhaus, insbesondere für junge Paare und Familien hat ein Ausflug in die mit dem gelb-blauen Logo versehenen Verkaufshallen Event-Charakter. Die Kinder kommen ins Kinderparadies, während sich die Eltern mit der Zusammenstellung des neuen Kleiderschranks oder der Küche beschäftigen. Verregnete Samstage lassen sich damit gut rumbringen, und weil diese Art der Freizeitbeschäftigung nach wie vor sehr beliebt ist, haben sich auch die Verantwortlichen in Memmingen auf ein Ikea-Einrichtungshaus gefreut.

Als Einkaufsstadt hat Memmingen bislang ein Einzugsgebiet von etwa 250 000 Menschen, Ikea sollte diese Zahl auf mehr als eine Million steigern. Deshalb ist es "im höchsten Maße bedauerlich", wie Oberbürgermeister Manfred Schilder (CSU) sagt, dass das Unternehmen seine Pläne komplett infrage stellt. Der Standort werde "überprüft", so stellt Ikea-Sprecherin Gilsdorf klar. Das bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit, dass kein großes Möbelhaus dort gebaut wird, allenfalls ein kleinerer Markt mit angegliedertem Logistikzentrum für den Onlinehandel.

Der Umsatz beim Produktverkauf übers Internet legte im vorigen Jahr bei Ikea-Deutschland um 30 Prozent zu, während das klassische Geschäft in den Einrichtungshäusern nur ein Plus von 2,4 Prozent verbuchen könnte. Diese Entwicklung führte zum Strategiewechsel: einerseits näher heran an den Kunden, also in die großen Städte, um auch diejenigen zu erreichen, die kein Auto haben. Andererseits soll der Onlinehandel weiter ausgebaut werden.

Städte wurden von der Neuausrichtung überrascht

In München sucht Ikea derzeit einen Standort in der Innenstadt. Man wolle sich auf zentrale Lagen in den Metropolregionen konzentrieren, sagt die Konzernsprecherin. Deshalb werde auch der Standort Eching vorerst nicht neu gebaut, wie es geplant gewesen sei, sondern wie gehabt weiter betrieben. Auch die Stadt Nürnberg wurde vom Strategiewechsel der Möbelfirma überrascht. Bisher gibt es in der fränkischen Metropolregion ein klassisches Ikea-Einrichtungshaus, nämlich in Fürth, ein zweites war in Nürnberg geplant.

Die Vorbereitungen waren weit fortgeschritten: Nach mehrjährigem Planungsprozess liegt ein rechtskräftiger Bebauungsplan für ein Einrichtungshaus mit 25 000 Quadratmetern Verkaufsfläche vor, die Stadt hat zudem den Ausbau der Regensburger Straße vorbereitet, wo der Markt entstehen sollte. Im Sommer 2018 sollte mit dem Bau begonnen werden, die Eröffnung war 2020 geplant. Nun steht all das in Frage. Ikea will zwar weiter nach Nürnberg kommen, aber "Format und Größe des neuen Hauses" überprüfen, wie Gilsdorf bestätigt.

Keine direkten Gespräche mit den Städten

Im Gespräch ist offenbar auch hier ein kleineres Kaufhaus, möglicherweise auch wie in Memmingen ein Logistikzentrum für den Onlinehandel. Der Nürnberger Stadtrat reagierte vergangene Woche verschnupft auf die Konzeptänderung, die das Rathaus via Pressemitteilung erreichte. Bisher gab es keine direkten Gespräche mit der Unternehmensleitung, doch die Stadträte machten schon mal klar, dass sie an der Regensburger Straße kein Logistikzentrum sehen wollen und der Bebauungsplan das auch nicht hergäbe.

In Memmingen hat der Oberbürgermeister ebenfalls "gewisse Vorbehalte" gegen ein bloßes Logistiklager auf dem Filetgrundstück am Autobahnkreuz. Man müsse sich nun über "pfiffige Alternativen" zu Ikea Gedanken machen, sagt Schilder. Das Problem dabei ist, dass die Schweden das Grundstück längst gekauft haben und wegen ihrer Neukonzeption nicht mehr an die Verträge gebunden sind, die sie mit der Stadt geschlossen haben. Die Verträge gelten nur beim Bau eines großen Einrichtungshauses.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2018
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