Süddeutsche Zeitung

Kempten:Indien und das Allgäu könnten sich kaum ähnlicher sein

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Das zumindest proklamiert eine etwas seltsame Aktionswoche in Kempten. Schließlich haben beide Kulturkreise ein gemeinsames Lieblingstier: die Kuh.

Von Christian Rost, Kempten

Was haben die Inder und die Allgäuer gemeinsam? Unaussprechliche Dialekte? Davon gibt es einen im Allgäu und zirka 5000 auf dem indischen Subkontinent. Kann man kulinarisch eine Brücke schlagen? Eher nicht, von den Allgäuer Kässpatzen ist's doch ein weiter Weg zu den raffinierten Thali, einer Zusammenstellung verschiedener Currys, meist aufgetragen mit Reis und dem Fladenbrot Naan.

Über die wichtigste Zutat beim Kochen indischer Gerichte allerdings lässt sich womöglich doch eine Seelenverwandtschaft zum Allgäu herstellen: Ghee ist eine Art geklärte Butter, die unverzichtbar ist in den Küchen Indiens, und mit Butter kennt man sich bekanntlich auch im Allgäu hervorragend aus. Schließlich ist in Kempten die Süddeutsche Butter- und Käse-Börse beheimatet, die die Preise für Milchprodukte ermittelt. Und weil Butter aus Milch gemacht wird und die Milch nicht auf Bäumen wächst, wird langsam klar: Die Inder und die Allgäuer verbindet - die Kuh.

In Kempten ist man sich dessen gerade bewusst geworden, weshalb sich dort zurzeit eine Aktionswoche mit dem Titel "So geht Heimat" dem Thema Indien widmet. Das Logo besteht aus einer stilisierten Kuh, die einen Trachtenhut und eine große Glocke trägt und ansonsten mit indischen Klischees bemalt ist: Eine junge Frau mit Punkt auf der Stirn ist zu sehen und ein alter Mann mit Turban. Ansonsten trägt diese Kuh noch Tattoos von Elefantenfüßen und eines Affen mit sich herum.

Die Aktionswoche - eine Kooperation des Kemptener Theaters, des Logistikunternehmens Dachser und der Kinderhilfsorganisation Terres des Hommes - ist ein durchaus beachtenswerter Veranstaltungsreigen, der die Probleme der Menschen in dem 1,3 Milliarden Einwohner zählenden Bundesrepublik beleuchtet und kritisch hinterfragt. Frauenrechte sind ein Thema, und eine Fotoausstellung zeigt Bilder vom Alltag in einem indischen Slum.

Eine Kuriosität am Rande ist, dass es der Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU) geschafft hat, in seinem Grußwort zur Aktionswoche nicht ein einziges Mal das Wort Indien zu erwähnen. Obwohl es vor allem um Indien geht. Er betet ausschließlich seine Auffassung zum Begriff "Heimat" herunter. Die indischen Brennpunkte einmal in den Vordergrund zu rücken, ist grundsätzlich richtig und wichtig. Als Vehikel dafür eine Kuh zu nutzen, um zwanghaft eine Verbindung zum Allgäu herzustellen, wirkt aber doch sehr bemüht. Schon die Auftaktveranstaltung zur Aktionswoche war übertourt betitelt: "Was uns verbindet, ist die Liebe zur Kuh", hieß die Impro-Bollywood-Show des Kemptener Stadttheaters.

Es mag ja sein, dass sowohl viele Hindus, die in Indien die Bevölkerungsmehrheit stellen, wie auch die Allgäuer Milcherzeuger ein beinahe erotisches Verhältnis zu ihren Hausrindern pflegen. Doch auf höchst unterschiedliche Art und Weise: Jüngsten Meldungen zufolge machen Banden in Indien auf offener Straße sogar Jagd auf Rindfleischhändler und schrecken im Kampf für die Unversehrtheit ihrer heiligen Kühe auch vor Morden nicht zurück. So weit geht die Landesvereinigung der Bayerischen Milchwirtschaft nicht. Die Milchlobbyisten beschränken sich in den auf ihrer Internetseite veröffentlichten Porträts über die in Bayern verbreiteten Milchvieh-Rassen auf Liebeserklärungen.

Beim Allgäuer Braunvieh zum Beispiel schwärmen die Autoren von den "schwarzen Kulleraugen" der "hübschen Braunen". Diese Beschreibung würde auch vielen Menschen in Indien gefallen, gerade den Hindus, für die es unvorstellbar ist, eine Kuh zu töten. In diesem Punkt unterscheiden sie sich grundlegend von den Allgäuern, die ihre Rinder auch zum Fressen gern haben.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2017
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