Süddeutsche Zeitung

Pisa-Reform:Aufstand der Musikelite

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In einem offenen Brief an Ministerpräsident Söder und Kultusministerin Stolz protestieren prominente Künstlerinnen und Künstler gegen die Kürzungen bei kreativen Fächern an Bayerns Grundschulen - und nehmen das Fach Religion in den Blick.

Von Anna Günther

Der Protest gegen das Pisa-Paket von Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) nimmt zu. Zwar ist das Ziel - mehr Mathe und Deutsch - in Bayerns Grundschulen unbestritten, zu schlecht schnitten Schüler und Schülerinnen bei Pisa ab. Aber wo diese Zeit herzuholen ist, erregt die Gemüter. Der Plan, dass Schulen bei Kunst, Musik und Werken Abstriche machen dürfen, lässt Eltern, Verbände und nun auch namhafte Musiker protestieren. Professoren der Münchner Musikhochschule, der Bariton Christian Gerhaher und die Violinistin Julia Fischer kritisieren die Grundschulreform in einem offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusministerin Stolz scharf.

Unterzeichnet ist der Brief von bekannten Musikern wie der Geigerin Anne-Sophie Mutter, dem Generalmusikdirektor der bayerischen Staatsoper Wladimir Jurowski, Simon Rattle, Chefdirigent des Chores und Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks sowie Jakub Hrůša, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Zwar haben vor allem Musiker unterzeichnet, aber es gehe genauso um Kunst und Werken, sagte Fischer. "Wir möchten Kindern die Möglichkeit geben, mit Kunst und Musik in Berührung kommen. Deswegen ist es uns allen so wichtig." Die "Pflege der Künste" dürfe nicht Museen, Theatern, Orchestern und Gymnasien überlassen werden. "Alle Kinder müssen teilhaben dürfen", das klappe am besten in der Grundschule, wo alle beisammen sind. "Was Sie vorhaben, sind Kürzungen am völlig falschen Ort!", schreiben Fischer und Gerhaher.

Stolz' Argument, dass die Schulleiter entscheiden können, wo sie die Zeit für Mathe und Deutsch herholen, lassen Gerhaher und Fischer nicht gelten. Das sei ein "unseriöser Versuch", dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der individuelle Entscheidungsspielraum, der an den Schulen gut ankommt, wirkt für Fischer, als würde Stolz sich "aus der Affäre ziehen".

Nach Stolz' Konzept kann eine frei verfügbare Stunde auch in Musik, Kunst und Werken gesteckt werden. So ändert sich am Zeitkontingent für die kreativen Fächer nichts. Dafür müsste bei Englisch gestrichen werden. Zwar sollen Musik, Kunst und Werken zu einem Verbund zusammengelegt werden, aber laut Stolz bleiben sie als Fächer eigenständig. Durch epochalen Unterricht kann auch ein Halbjahr lang Musik und im zweiten Kunst oder Werken unterrichtet werden. Für die Musikhochschullehrer Gerhaher und Fischer bleibt das ein Unding. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass man bei den kreativen Fächern spart, aber Religion bleibt bestehen", sagte Fischer.

Kultusministerin Stolz hätte sich vorstellen können, die dritte Religionsstunde in der dritten und vierten Klasse zu streichen. Ein Vorschlag, den sehr viele Unterzeichner einer Petition machen, die fast 200 000 Unterstützer hat. Die Ministerin kam am Veto von CSU und Kirchen nicht vorbei. Die Bedenken von Gerhaher, Fischer und ihren Unterzeichnern "nehme ich sehr ernst", sagte Kultusministerin Stolz. Aber es gehe "um mehr Zeit für unsere Kinder, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen". Nicht darum, Kunst, Musik und Werken zu schwächen. Kein Fach werde gestrichen, die Schulen hätten sich Gestaltungsspielräume gewünscht.

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