Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Mittelfranken:60:40 in Kotzenaurach

Lesezeit: 3 min

"Extreme behördliche Ignoranz": Im mittelfränkischen Kotzenaurach gibt es fast so viel Asylbewerber wie Einwohner. Die Bevölkerung fühlt sich bereits jetzt überfordert, doch das Landratsamt will noch mehr Flüchtlinge schicken.

Von Katja Auer, Kotzenaurach

Eine Dorfstraße, ein Briefkasten, ein alter Kaugummiautomat. Das ist Kotzenaurach im idyllischen Aurachtal. Felder drumherum und Wald. Gut 60 Einwohner, kein Geschäft, kein Bus, kein Kino. Nur die Neue Krone, das laut Eigenwerbung "familienfreundliche Hotel auf dem Land". Das ist recht gut besucht, um die 40 Gäste hat Hans Daum zurzeit und wenn es nach ihm ginge, wären es noch mehr.

15 Betten hat er noch frei, sagt er, und die würde er - wie die restlichen - gerne wieder an Asylbewerber vermieten. Seit gut zwei Jahren wohnen Flüchtlinge in dem Gasthof in Kotzenaurach. Im Landratsamt in Neustadt an der Aisch sind sie froh darüber. Froh um jeden Asylbewerber, der irgendwo untergebracht ist. Wie überall in Bayern fehlen auch dort die dringend benötigten Unterkünfte. Und in Kotzenaurach halten es die Einwohner kaum noch aus. Sie wollen, dass die Asylbewerber-Herberge geschlossen wird.

"Unser Dorf ist ein komplett ungeeigneter Ort", sagt Susanne Schönwiese, die direkt neben dem Gasthof wohnt. Sie hört sich unaufgeregt an und sie betont, dass es keine fremdenfeindliche Stimmung gebe im Ort. Im Gegenteil, viele Einwohner unterstützten die Asylbewerber, sie selbst habe schon eine Frau zur Beratungsstelle gefahren, ihre Tochter gab einem jungen Iraner Nachhilfeunterricht.

Aber es seien einfach zu viele Leute für den kleinen Ort. Integration? Unmöglich. Susanne Schönwiese nennt es "extreme behördliche Ignoranz", dass das Landratsamt so viele Menschen in der "Neuen Krone" einquartiert hat. Ohne die Kotzenauracher zu informieren. Auf einmal waren die Asylbewerber da.

Die Fronten sind verhärtet

Es geht auch anders, in Buckenhof bei Erlangen hat der Gemeinderat gerade beschlossen, Flüchtlinge aufzunehmen - und gleichzeitig einen Verein für deren Unterstützung initiiert. Bürgermeister Georg Förster spricht von einer moralischen Verpflichtung, die er aber im Einklang mit den Bürgern erfüllen will. Außerdem wird er auf deren ehrenamtliches Engagement angewiesen sein - längst reichen die ohnehin knapp bemessenen Betreuungsstunden der Sozialverbände für die immer mehr Flüchtlinge nicht mehr.

Susanne Schönwiese hat sich an den Petitionsausschuss des Landtags gewandt. Am Mittwoch steht das Thema auf der Tagesordnung. Wieder einmal. Die SPD-Abgeordnete Alexandra Hiersemann zeigt Verständnis: "Das kann so nicht bleiben, weil da keine Integration möglich ist. Dass sich die Kotzenauracher beschwerten, könne man ihnen nicht übel nehmen, "das hat nichts mit Rassismus zu tun".

Auch der CSU-Abgeordnete Michael Hofmann hält es für nicht akzeptabel, so viele Asylbewerber wie Einheimische in einem Ort unterzubringen. Der Ausschuss hat empfohlen, die Zahl auf 15 bis 20 Flüchtlinge zu reduzieren. Wo sie stattdessen hin sollen, wissen die Parlamentarier auch nicht.

Reiner Soller, der zuständige Sachgebietsleiter im Landratsamt, klingt resigniert. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die Unterkunft in Kotzenaurach lieber voll belegen würde. "Ich wäre froh, wenn wir mehr solche hätten", sagt er. Der Wirt kümmere sich gut um die Flüchtlinge, weil es keine Busverbindung gebe, fahre er sie sogar dreimal pro Woche nach Neustadt. 230 Asylbewerber leben zurzeit im Landkreis, und es sollen noch mehr werden.

Zwei Briefe aus dem Erstaufnahmelager in Zirndorf habe er in den vergangenen Tagen erhalten, sagt Soller, dort wollen sie die Menschen möglichst schnell weiterverteilen. Die Einrichtung ist überfüllt. Weil die Menschen in der Kapelle und in den Busgaragen campieren müssen, schlafen die ersten inzwischen lieber im Freien.

"Wir müssen mit Zwangszuweisungen rechnen", sagt Soller. Wenn die Flüchtlingen einfach da stünden, dann wisse er nicht, wohin mit ihnen. Deswegen ist er so froh über die "Neue Krone". Und deswegen, weil sich 60 Menschen in einer Unterkunft viel leichter verwalten lassen, als 60 in mehreren Wohnungen.

Daum fühlt sich von den Nachbarn diffamiert

Gerade das kritisiert Susanne Schönwiese. Sie spricht sich für eine dezentrale Unterbringung aus - eine Forderung, die die Opposition und der Flüchtlingsrat seit Jahren an die Staatsregierung stellen. Auch in Kotzenaurach sei man gerne bereit, eine Familie unterzubringen und zu integrieren, sagt Schönwiese, die für sich in Anspruch nimmt, für die meisten Dorfbewohner zu sprechen. Aber die Staatsregierung hält an den Gemeinschaftsunterkünften fest.

Es ist offensichtlich, dass dem Konflikt in Kotzenaurach auch ein persönlicher zugrunde liegt. Gasthof-Besitzer Daum fühlt sich von den Nachbarn diffamiert und betont, wie sehr er sich um seine Bewohner kümmere. Dass er auch einiges verdient dabei, räumt er offen ein. Natürlich, er führe schließlich einen Gewerbebetrieb.

Die Fronten sind verhärtet

Um die 40 Euro zahlt das Landratsamt pro Asylbewerber und Tag, genaue Angaben macht man in Neustadt nicht. Eine Summe jedenfalls, die Susanne Schönwiese Profitgier als Motiv beim Hotelier vermuten lässt. Sie erzählt wiederum, dass sich der Mann zu wenig kümmere und noch dazu die hauseigene Kläranlage ungeeignet für die vielen Menschen sei. Die Fronten sind verhärtet.

Der Petitionsausschuss hat einen Runden Tisch angeregt, damit wenigstens wieder geredet wird. Am Donnerstagabend trafen sich die Beteiligten, aber eine Lösung kann Bürgermeisterin Birgit Kreß am Freitag nicht präsentieren. Der eine will immer noch mehr Flüchtlinge unterbringen, die anderen immer noch weniger, und eine Schließung ist wegen der angespannte Lage ausgeschlossen. Es ist wie am Verschiebebahnhof, die Verantwortung wird immer weiter geschoben. Nach unten. Das ist in dem Fall Kotzenaurach. Und dort fühlt man sich ziemlich allein gelassen.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2014
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