Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Landtag:Vereint gegen den Rechtsruck

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Von Wolfgang Wittl, München

Manchmal weiß dieser Plenartag beim besten Willen nicht, was er genau sein will: Ein Plädoyer für die Demokratie? Eine Liebeserklärung an Europa? Oder doch nur billiger Wahlkampfklamauk? Dass er sich nicht so recht entscheiden kann, liegt natürlich nicht an dem Tag selbst, sondern an seinen Protagonisten. Man kann schon mal durcheinander kommen, wenn man sieht, wie die sonst starren Rituale im Landtag aufgebrochen werden. Wenn plötzlich etwa der Ministerpräsident von der CSU bei der Rede des SPD-Mannes Markus Rinderspacher mehrmals anerkennend auf den Tisch klopft. Oder wenn Katharina Schulze, die Fraktionschefin der Grünen, ihrem Lieblingsgegner Thomas Kreuzer (CSU) unumwunden Beifall klatscht. In diesen seltenen Momenten der Gemeinsamkeit zeigt sich: Dieser Donnerstag ist zumindest ein sehr besonderer Tag im Parlament.

"Für ein starkes und freies Europa", hat Markus Söder seine Regierungserklärung überschrieben. Es ist bereits die vierte, die er in seinen 14 Monaten als Ministerpräsident hält - und seine erste, in der er weit über den bayerischen Horizont hinausblickt. Söder beginnt seine Rede mit einem Appell: "Es ist wichtig, wählen zu gehen." Dann warnt er eindringlich vor einem Erstarken der Rechtspopulisten, eine Zusammenarbeit mit ihnen lehnt er ab. "Gefährden wir nicht aus Langeweile oder aus Desinteresse die Zukunft Europas. Es wäre ein historisches Versagen." Aber auch Söder kann sich nicht entscheiden, wer er genau sein will. Mal spricht er als CSU-Chef; mal als Wahlkampfhelfer für seinen Parteifreund Manfred Weber, der EU-Kommissionspräsident werden will. Im ersten Teil seiner Regierungserklärung tritt er jedoch als der auf, der er künftig am liebsten immer sein will: ein verantwortungsvoller Ministerpräsident, der für alle da sein soll.

Jahrelang war der begnadete Politikvermarkter Söder allein in eigener Sache tätig. Nun entwirft er drei Tage vor der Europawahl einen Werbeblock für die Europäische Union, ohne die Fehler und Herausforderungen auszusparen. Europa sichere den Frieden, Europa garantiere Freiheit, Europa bringe Wohlstand, Europa stehe für ein Wertefundament, Europa vereine die kulturelle Vielfalt. Söder zählt auf, wie viel Geld die gut 100 000 bayerischen Landwirte im vorigen Jahr von der EU bekamen (1,2 Milliarden Euro). Wie sehr jeder Bayer vom Binnenmarkt profitiere (1100 Euro mehr Einkommen im Jahr). "Wir haben ein Miteinander und kein Gegeneinander mehr", sagt Söder. "Uns Europäer verbindet viel und trennt wenig. Wir dürfen nicht zulassen, dass das zerstört wird."

Es ist der Teil seines Vortrags, in dem er immer wieder den Applaus aller Fraktionen bekommt, mit Ausnahme der AfD. Söder spricht von "herzzerreißenden Schicksalen im Mittelmeer", es sei "nicht erträglich", was dort mit ertrinkenden Flüchtlingen stattfinde. "Menschen müssen gerettet werden, man darf sie nicht dem Tod überlassen." Er fordert einen EU-Kommissar für Afrika ebenso wie für Klimaschutz. Er kündigt an, auch in den nächsten Jahren nach Afrika zu reisen. Erst dann wisse man, "wie absurd manche Diskussionen hier sind". Söder und Empathie - das war für viele ein unvereinbarer Widerspruch. Offenbar ist er fest entschlossen, dieses Image korrigieren zu wollen.

Als Söder in den Wahlkampfendspurt einbiegt, ist es mit dem Zuspruch der Opposition schnell vorbei. Unverhohlen wirbt er für den CSU-Vize Weber als Kommissionspräsidenten. An diesem Freitag bittet die CSU mit der Europäischen Volkspartei zur Abschlusskundgebung in die Münchner Messe. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird ihren einzigen Europawahlkampfauftritt in Deutschland absolvieren, auch ein anderer Gast hatte sich längere Zeit nicht mehr blicken lassen. Nach seinem Rückzug als CSU-Chef wird Horst Seehofer erstmals wieder bei einer größeren Parteiveranstaltung vorbeischauen, auf besonderen Wunsch Webers hin. Es könnte das erste Mal sein, dass die drei CSU-Ehrenvorsitzenden Theo Waigel, Edmund Stoiber und Seehofer gemeinsam auftreten.

Die schärfste Attacke gegen die AfD kommt von Katharina Schulze

Nur gemeinsam könne man auch die Herausforderungen bei Terrorismus, Klimaschutz und wirtschaftlicher Zusammenarbeit lösen. Man müsse ganz Europa im Blick haben, dürfe nicht kleine Länder vor den Kopf stoßen. Söder hat das ähnlich formuliert, doch es ist jetzt die Oppositionsführerin, die spricht. Manches sieht Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze freilich anders als ihr Vorredner. "Es reicht nicht, eine Pro-Europa-Rede zu halten, Herr Söder." Man müsse auch den Willen zeigen, Europa weiterentwickeln zu wollen. Ihre schärfste Attacke richtet Schulze gegen die AfD: "Sie sind ein Fall für den Staatsanwalt und nicht fürs Parlament."

Manch einer würde auf solch einen Vorwurf vielleicht spontan reagieren, doch AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner hält sich wie immer wortgetreu an ihr Skript. Dort stehen diesmal Sätze wie: "Sie arbeiten jeden Tag selbst an der Zerstörung Europas" (an Söder). Oder: "Wir zeichnen ein durch und durch positives Bild von Europa" (an alle). Ein zweifelhafter Superlativ ist Ebner-Steiner damit sicher: Sie produziert die größten Lacher am Tag.

Nach der AfD ist immer die SPD an der Reihe, für Markus Rinderspacher eine gute Gelegenheit, ein paar Dinge klarzustellen. "Sie haben aus der europäischen und deutschen Geschichte nichts, aber auch gar nichts gelernt", ruft er der AfD zu. Er begrüße Söders Worte, sagt Rinderspacher, "das war nicht immer so in den letzten fünf Jahren". Die Kehrtwende erinnere an einen "europapolitischen Purzelbaum", der aussehe wie ein "Fallrückzieher". FDP-Fraktionschef Martin Hagen wundert sich, "was eine Wahlschlappe bewirken kann". Vor einem Jahr habe Söder über das Ende des Multilateralismus referiert, jetzt habe er "viel Richtiges gesagt". Falls die CSU ihren Worten Taten folgen lassen wolle, könne sie ihr Verhältnis zu Viktor Orbán klären. Weber zu unterstützen lehnt Hagen ab, er wirbt für die Dänin Margrethe Vestager.

Friede, Freiheit und Wohlstand habe die Europäische Union gebracht, sagt Florian Streibl (Freie Wähler). Nur die AfD klatscht da nicht. Doch die ziemlich große Koalition der Demokraten kann sich an diesem Tag hinter diesen Worten versammeln.

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SZ vom 24.05.2019
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