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Atomkraftwerk Isar 2:Ein Ventil macht Ärger

Lesezeit: 4 min

Die Debatte um einen Streckbetrieb des Kernkraftwerks Isar 2 wird schärfer. Die Bundesregierung macht dem Freistaat und dem Betreiber schwere Vorwürfe wegen eines Defekts. Doch Preussen-Elektra teilt mit: Es liegt gar kein Schaden vor.

Von Michael Bauchmüller, Andreas Glas und Christian Sebald, München/Berlin

Ende August schickt Guido Knott einen langen Brief nach Berlin. Er wolle ja den Ergebnissen des Stresstests nicht vorgreifen, schreibt der Chef von Preussen-Elektra darin. Aber gegen einen längeren Betrieb des Kernkraftwerks Isar 2, kurz KKI2, spreche nichts. Eigentlich endet die Laufzeit des Preussen-Elektra-Reaktors am 31. Dezember, jedenfalls nach derzeitiger Gesetzeslage. "Aber wenn es die Notsituation und die erkennbaren Mangellagen für Strom und Gas erfordern, stehen wir mit unserer Mannschaft und unserem KKI2 dafür bereit." Adressat ist der Energiestaatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Patrick Graichen. Doch mittlerweile ist der Brief Teil des großen Rätsels rund um Isar 2.

Das Rätsel beginnt mit einer Telefonkonferenz Anfang März. Der russische Angriff auf die Ukraine ist erst ein paar Tage alt, der Schock sitzt tief. Da schalten sich die Spitzen von Wirtschafts- und Umweltministerium mit den Chefs der vier Atomkraftbetreiber zusammen. Thema: eine mögliche Verlängerung der Atomlaufzeiten. Auch Knotts Chef ist dabei, Eon-Chef Leo Birnbaum. Preussen-Elektra ist eine Eon-Tochter. Doch in einem "final abgestimmten Protokoll" äußern die Konzernchefs vor allem Bedenken. Die Idee etwa, die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke noch in einem "Streckbetrieb" über den Dezember hinaus zu nutzen, verwerfen die Bosse. Diese habe "keinen Mehrwert". Es mangele an Brennstoff. Was im Winter so zusätzlich an Atomstrom produziert werde, müsse man vorher weniger erzeugen. "Der Netto-Effekt wäre nahezu null." Mehr noch: Ließe man die Reaktoren mit neuem Brennstoff deutlich länger laufen, sei das zwangsläufig mit Abstrichen bei Sicherheit oder Nachrüstungen verbunden.

"Volle Leistung bis Jahresende"

Ende August liest sich das alles ganz anders. An Brennstoff mangelt es in Isar 2 mittlerweile nicht mehr. Der Reaktorkern sei so ausgelegt, schreibt Knott nun an Graichen, "dass die Anlage bis zum Jahresende mit nahezu voller Leistung betrieben werden kann". Danach reiche der Brennstoff noch bis Ende März, "bei langsam absinkender Leistung". Und selbst danach ließe sich der Reaktorkern so umbauen, dass Isar 2 mit vorhandenen, gebrauchten Brennelementen noch bis August laufen könne. Dieser Umbau erfordere nur einen "kurzen Betriebsstillstand".

Nichts, so sollte der Brief zeigen, stünde einem längeren Betrieb im Wege, im Gegenteil: "Sämtliche Fehlbehauptungen, dass wir einen Weiterbetrieb nur bei reduzierten Sicherheitsansprüchen ermöglichen können", setzte der Preussen-Elektra-Chef nach, "entbehren jeder Grundlage!". Das las sich im Protokoll aus dem März noch ganz anders.

Keine vier Wochen ist der Brief alt, doch die Lage ist eine ganz andere - und das Rätsel um Isar 2 geht weiter. Vor zwei Wochen zog Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Schlüsse aus dem Stresstest: Das Landshuter Akw soll nur dann über den Silvestertag hinaus betrieben werden, wenn sich in Europa eine ernste Stromknappheit abzeichnet. Wie der andere süddeutsche Reaktor, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg, wird Isar 2 zur Reserve, und das auch nur bis Mitte April.

"Technisch nicht machbar"

Wieder greift Knott zur Feder, wieder schreibt er an Graichen, nun aber weit weniger freundlich: "Technisch nicht machbar" sei der geplante Reservebetrieb, "mit unserer Sicherheitskultur nicht vereinbar". Habeck und Graichen äußern sich verwundert.

Doch Preussen-Elektra lässt nicht locker. Die neueste Volte ist eine "interne Leckage", die sich gefunden haben soll, berichtet hat darüber bisher nur das Bundesumweltministerium. Danach haben die Isar-2-Betreiber vorige Woche auf das Leck hingewiesen. Bis 31. Dezember bereite das keine Probleme, die Anlage könne sicher weiterlaufen. Ganz anders sehe das bei einem möglichen Betrieb bis Mitte April aus - dann sei eine Reparatur fällig, und das rasch, noch im Oktober. Grund: Schon im November hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren". So viel zur "nahezu vollen Leistung bis zum Jahresende", von der Preussen-Elektra noch Ende August berichtet hatte. Und auch ein Umbau des Reaktorkerns, so ist zu hören, braucht plötzlich weit mehr Zeit als einen "kurzen Betriebsstillstand".

So gerät das Kraftwerk an der Isar auf seine letzten Tage noch einmal zwischen die Fronten. Am Dienstag ist es Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), die austeilt. Sie frage sich, warum Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler), nicht auf das Problem hingewiesen habe. Immerhin sei der Chef der bayerischen Atomaufsicht. "Das ist einfach unseriös." Und auch CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chef Friedrich Merz bekommen ihr Fett weg: Sie hatten sich Isar 2 schließlich erst vorigen Monat angeschaut. "Ich frage mich schon, ob sie über die Leckage nicht informiert wurden, oder ob sie das Problem in ihrer Pressekonferenz am 4. August vor dem Reaktor einfach verschwiegen haben", sagt Lemke.

Verfall der Sicherheitskultur

Derweil sehen Umweltschützer die Leckage als Beleg für allgemeines Atomversagen. Ein "unverantwortlicher Verfall der Sicherheitskultur in Bayern" werde damit sichtbar, sagt Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. "Die Betreiberfirma verstrickt sich in Widersprüche, und die Behörden schweigen." Das lecke Ventil müsse sofort repariert werden, der Reaktor Ende des Jahres für alle Zeiten vom Netz.

Die CSU, die seit Monaten für eine Laufzeitverlängerung des letzten bayerischen Kernkraftwerks trommelt, gibt sich derweil unbeeindruckt. Verantwortungslos fände es Thomas Kreuzer nur, wenn die verbliebenen deutschen Kernkraftwerke nicht mindestens bis 2024 weiterlaufen. Der Reparaturbedarf in Isar 2 sei "überschaubar", das Leck "überhaupt keine Sache, die gegen einen Weiterbetrieb des Kraftwerks spricht", sagt der Landtagsfraktionschef am Dienstag bei der Herbstklausur der CSU-Abgeordneten in Kloster Banz, an der auch Parteichef und Ministerpräsident Söder teilnahm. Vom defekten Ventil habe man am Montag aus der aktuellen Berichterstattung erfahren, heißt es aus der Staatskanzlei. Während Söder sich zunächst nicht zu den Entwicklungen um Isar 2 äußert, teilt Fraktionschef Kreuzer erneut hart gegen die Bundesregierung aus. Er spricht vom "idiotischen Reservebetrieb", der unerprobt sei und deshalb "zu gefährlich".

Normaler Leistungsbetrieb

Ganz ähnlich äußern sich Vizeministerpräsident und Energieminister Hubert Aiwanger und Umweltminister Glauber. "Ideologische Atomgegner verbreiten gezielt Angst in der Bevölkerung, um die Politik in Richtung Abschaltung unter Druck zu setzen", poltert Aiwanger. Und Glauber spricht von "Taktiererei" und "parteipolitischen Spielchen". Beide fordern eine schnelle Entscheidung für den Weiterbetrieb von Isar 2. Aus dem Umweltministerium heißt es, das lecke Ventil sei "sicherheitstechnisch unbedenklich, die in Rede stehenden Systeme arbeiten bestimmungsgemäß". Es handle sich nicht einmal um ein meldepflichtiges Ereignis.

Am Dienstagnachmittag erklärt sich schließlich auch Preussen-Elektra zum Streit um das defekte Ventil: In der Mitteilung heißt es, es liege kein Schaden vor. Das Kernkraftwerk befinde sich im "normalen Leistungsbetrieb". Zur Absicherung eines möglichen weiteren Betriebs über das Jahresende hinaus müsse das Kraftwerk für etwa eine Woche vom Netz genommen werden. Unter anderem würden dabei "innere Leckagen an Vorsteuerventilen der Druckhalter-Sicherheitsventile" behoben. Eine solche Leckage sei "normalbetrieblich vorhanden und gewollt". Der Dampfstrom werde kontrolliert abgeführt und überwacht. Würden bestimmte Grenzwerte erreicht, müsse das Kraftwerk für die Reparatur abgefahren werden. Dies sei derzeit aber nicht der Fall - die Behebung der Leckage sei lediglich im Zusammenhang mit einem möglichen Weiterbetrieb vorzusehen.

Weiter teilt Preussen-Elektra mit: Die laufenden politischen Diskussionen müssten "zügig zu einem klaren Ergebnis führen". Darüber sei man mit der Bundesregierung im Austausch - vertrauensvoll und konstruktiv.

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