Süddeutsche Zeitung

Niederbayern:Geheimnisse der Vorfahren

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Archäologische Funde an der Donau belegen das seit jeher komplizierte Verhältnis von Mensch und Fluss. Vor den Baumaßnahmen zum Hochwasserschutz rücken daher Prähistoriker an. Szenen einer Rettung der Geschichte.

Von Hans Kratzer

Lässt man an einem lichtblauen Herbsttag am Donauufer bei Lenzing den Blick nach Norden schweifen, öffnet sich ein Panorama, das durchaus den Eindruck erweckt, als habe es der Schöpfer besonders liebevoll hingetupft. Im Vordergrund erhebt sich die Feldkapelle St. Koloman, am Horizont ragt der seit Urzeiten besiedelte Bogenberg aus der Flussebene, er gilt als der heilige Berg Niederbayerns. Auf dem Damm begleiten Spaziergänger frohgemut den Lauf des Flusses. Auch die Prähistorikerin Stefanie Berg kommt oft hierher; bei ihr hat das berufliche Gründe. Ihre Anwesenheit verrät, dass sich diese Landschaft, in der sich Bayerns Geschichte wie in einem Brennglas bündelt, bald verändern wird. In der Ferne ist das Brummen eines Baggers zu hören, das sich mit dem Rauschen der Donau vermischt.

Dass Frau Berg mit einem Geländewagen zum Treffpunkt an der Kapelle gekommen ist, hat seinen guten Grund. Dort, wo sie ihrer Arbeit nachgeht, ist die Erde häufig aufgerissen, es staubt und dreckelt, und es rattern Baumaschinen. Ihr Büro hat sie in München, im Landesamt für Denkmalpflege, in dessen Auftrag sie seit Jahren Geländeflächen seziert und analysiert, auf denen lineare Strukturmaßnahmen geplant sind, wie es im Fachjargon heißt. Im Klartext: Dort sollen Autobahnen und Stromtrassen gebaut werden. Oder, wie hier, ein Polder, der die Hochwassergefahr eindämmen soll.

Die Donau muss auf ihrem 2800 Kilometer langen Lauf quer durch Europa an mehreren Abschnitten in Niederbayern gezähmt werden. Sie ist, wenn sie ihren Kräften freien Lauf lässt, wie etwa im Juni 2013, nicht zu bändigen, sie verursacht Deichbrüche und Flutkatastrophen. Der im Abschnitt zwischen Straubing und Deggendorf entstehende Polder Sulzbach soll das künftig verhindern. Zu diesem Zweck werden Deiche rückverlegt und fünf Schöpfwerke neu errichtet.

Die Kollateralschäden, die eine so tief greifende Baumaßnahme nach sich zieht, treffen nicht zuletzt die Bodendenkmäler. Gerade in den Ackerböden an der Donau schlummern Tausende archäologische Relikte. Wenn die Arbeiten losgehen, ist es zu spät, dann ist alles verloren, nicht nur die Hinterlassenschaften der Vorfahren, sondern auch die Geheimnisse, die ihre Häuser, Friedhöfe und Geräte bewahren.

Bevor die Firma Wiges (Wasserbauliche Infrastrukturgesellschaft) im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaats Bayern mit dem Bau des Polders Sulzbach beginnt, gehen vorschriftsmäßig die Archäologen ans Werk; nicht nur Stefanie Berg, sondern auch Spezialfirmen wie "Pro Arch Prospektion und Archäologie", die zurzeit im Auftrag des Denkmalamts im Poldergebiet gräbt. Die Flächen entlang der niederbayerischen Donau sind archäologisch wenig erforscht. "Eigentlich sollten alle Funde möglichst in der Erde verbleiben", sagt Stefanie Berg. Dort seien sie am besten geschützt. Heutzutage reicht das Wissen, wie die archäologische Struktur einer Gegend aussieht, meistens aus. Man muss nicht mehr jedes Grab öffnen und jedes Skelett bergen. Wenn aber andere Interessen der Allgemeinheit höher bewertet werden als das Kulturgut Bodendenkmal, wie etwa der Hochwasserschutz an der Donau, "dann kommt man um Ausgrabungen nicht herum", sagt Berg. Dann muss ein Bodendenkmal geöffnet werden, bevor es keine Aussagekraft mehr hat.

"Unsere Arbeit fängt oft schon Jahre vor dem Baubeginn an", sagt Berg. Dass es an der Donau zahlreiche Fundorte gibt, war zu erwarten. Der fruchtbare Lößboden hat schon in der Steinzeit Menschen in diese Gegend gelockt. Weil die Gesamtfläche aber viel zu groß ist, beschränken sich die Archäologen im künftigen Poldergebiet auf Querschnittsgrabungen.

Ein Bagger trägt gerade behutsam einen Humusstreifen ab. "Er darf nicht zu tief graben", sagt Frau Berg, "allzu schnell ist ein Grab oder ein Relikt zerstört." Einen Steinwurf davon entfernt ist über einer Grabungsstelle ein Zelt gespannt. Sieben Archäologen kauern dort auf dem Boden, sie schaben sehr behutsam die Erde von einem Skelett. Es ist eine Millimeterarbeit, die Knochenoberfläche darf keinen Schaden nehmen, damit sie später im Labor aussagekräftige Informationen liefern kann. Alter, Ernährung, Herkunft eines Menschen, das alles kann mit modernen Analysemethoden geklärt werden.

Von seinem Flieger aus hat der Luftbildarchäologe Klaus Leidorf wunderbar festgehalten, wie die Donau hinter Lenzing in einem Bogen geschmeidig um Mariaposching herumfließt. Weil diese Donauschleife seit Jahrtausenden besiedelt ist, sind die Archäologen auf Relikte aus vielen Epochen gestoßen. Auf der bisher untersuchten Fläche von 47 000 Quadratmetern fanden sich 1200 Befunde. Das vom Bau betroffene Gesamtgebiet umfasst aber Tausende Hektar. Der Erhaltungszustand der Siedlungsreste sei außerordentlich gut, sagt der Archäologe Sebastian Hornung von der Firma Pro Arch. Sie ermöglichten herausragende Erkenntnisse über die Vorfahren.

Manchmal taucht sogar eine ganze Siedlung auf, wie jene aus der Karolingerzeit (800-1000 n. Chr.) südlich von Lenzing. Die ältesten Funde stammen aus dem späten Neolithikum (2800-2200 v. Chr.). Doch die Gegenwart ist gefräßig wie keine Zeit vor ihr. Allerdings verrät der einem enormen Stress ausgesetzte Boden, dass der Mensch ihn sowie den Fluss auch früher schon traktiert hat. Nachdem die einstige Benediktinerabtei Oberalteich häufig von Überflutungen heimgesucht worden war, etwa 1342 beim verheerenden Magdalenenhochwasser, wurde ein Donauarm waghalsig umgeleitet. Trotzdem blieb das Kloster von Überflutungen nicht verschont.

"Das Hochwasser war immer schwierig und komplex", sagt Stefanie Berg. Schutzmaßnahmen sind schon früh archäologisch nachweisbar. Die Menschen neigten stets dazu, viel zu nahe an der Donau zu siedeln. Ihre landwirtschaftliche Tätigkeit führte schon in der Steinzeit zu einer punktuellen Erosion. Der Mensch ist der Donau von Anfang an zu nahe getreten. Dank der Arbeit von Stefanie Berg und der vielen zuarbeitenden Archäologen wissen wir nun noch genauer, dass die Menschen von der Donau seit jeher magisch angezogen, aber durch ihr riskantes und fehlerhaftes Wirken von ihr auch bedroht und verschlungen wurden. Der Mensch hat sich bis heute nicht geändert, es ändern sich nur die Bedingungen, unter denen er leben darf.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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