Süddeutsche Zeitung

Antikörper-Studie in Bad Feilnbach:Auf der Suche nach der Dunkelziffer

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In Bad Feilnbach, das vom Coronavirus stark gebeutelt wurde, wollen Experten des Robert-Koch-Instituts die bisher unklaren Ausbreitungswege nachvollziehen können. Dafür nehmen sie von 2000 Bürgern Blutproben.

Von Matthias Köpf, Bad Feilnbach

Das mit dem Hotspot hört Bürgermeister Anton Wallner eigentlich nicht mehr so gern. Schließlich begreife sich Bad Feilnbach als Gesundheitsstandort und als ein touristisches Schwergewicht im Landkreis Rosenheim. Das Kurdorf hat treue Gäste - so treue, dass sie aus verschiedensten Ecken Deutschlands privat Schutzausrüstung geschickt haben, als in Bad Feilnbach das Coronavirus grassierte. Denn in der zweiten Märzhälfte war die Region Rosenheim genau das: ein Hotspot, mit täglich bis zu 150 Neuerkrankungen. Und in Bad Feilnbach war es besonders schlimm. 159 Infizierte zählt die Gemeinde bis heute, bei nur 8500 Einwohnern eine enorme Quote. Und doch werden die 159 längst nicht alle gewesen sein. Näheres will jetzt das Robert Koch-Institut (RKI) mit einem Reihentest herausfinden.

Es gebe viele Hinweise, dass die Dunkelziffer von Infizierten, die keine oder nur leichte Krankheitssymptome entwickelt haben, ungefähr fünfmal höher liegt als die Zahl der offiziell registrierten Fälle, sagt Thomas Lampert, der am RKI die Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring leitet. Er ist mit gut zwei Dutzend Mitarbeitern nach Bad Feilnbach gekommen, die dort möglichst 2000 innerhalb definierter Altersgruppen zufällig ausgewählte Bürger nicht nur per Rachenabstrich auf eine akute Infektion testen, sondern durch Bluttests Antikörper als Hinweise auf eine frühere Infektion aufspüren sollen. Zwei Wochen lang nehmen sich die RKI-Wissenschaftler Zeit für die Proben, Ergebnisse soll es im August geben.

Bürgermeister Wallner zählt selbst zu den Ausgelosten. Er hat sich gleich als erster Proband den allerersten Testtermin am Dienstag geben lassen, so wie er sich für seine Gemeinde auch sofort um die Studie beworben hatte - zur Freude des RKI, das Bad Feilnbach ohnehin schon im Blick hatte. Ihm gehe es um Offenheit, Transparenz und Aufklärung, sagt der Bürgermeister, die Gemeinde werde sich da nicht wegducken. Und wenn es dem guten Ruf der Gemeinde als Gesundheitsstandort und touristisches Schwergewicht nützt, dann wird es Wallner auch nicht unrecht sein.

Denn auch jenseits der Region Rosenheim wurde registriert, dass in Bad Feilnbach Anfang April ein Pflegeheim evakuiert werden musste, weil sich darin das Virus ausgebreitet hatte. Alle 41 Bewohner wurden auf umliegende Kliniken verteilt. Laut Landrat Otto Lederer (CSU) sind sie nicht alle zurückgekommen, so wie das kleine Bad Feilnbach insgesamt mehr als zehn Tote zu beklagen hatte. Nun wollen viele wissen, ob sie selbst infiziert waren. Wohl auch darum hätten 1500 der 2000 ausgelosten und angeschriebenen Einwohner binnen einer Woche Termine vereinbart, sagt RKI-Wissenschaftler Lampert.

Auch die Frage, wo das alles hergekommen ist, bewegt den Ort. In die Region wurde das Virus von Skiurlaubern aus Südtirol und Tirol importiert, sagt der Leiter des Rosenheimer Gesundheitsamts, Wolfgang Hierl. Zumindest deutet darauf der erste Fall hin, den seine Behörde Ende Februar registriert hat. Ein paar Wochen später sei dann das Fax vor lauter neuen Meldungen regelrecht heiß gelaufen. Was Bad Feilnbach betrifft, verbreiteten sich im Ort die privaten Hypothesen dann fast so schnell wie das Virus. War es der Trachtenmarkt? Diese eine Schafkopfrunde? Die große Beerdigung mit den vielen Trauergästen? Dass die Lage ernst und die verfügten Maßnahmen wichtig sind, hätten manche damals aber erst nach und nach verstanden, sagt der Bürgermeister, der sich wegen eines Falls in der Familie gleich nach der Kommunalwahl selbst in Quarantäne begeben hat. Wallner lobt den Zusammenhalt im Ort, aber von plötzlicher Zurückhaltung und Misstrauen könnte er auch erzählen.

Nun soll die RKI-Studie die Ausbreitungswege des Virus nachzeichnen. Thomas Lampert verspricht sich aber auch Erkenntnisse darüber, ob beispielsweise bestimmte Familienbeziehungen, der Bildungsgrad oder das Haushaltseinkommen Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben. Dazu hat das RKI schon 2000 Probanden in Kupferzell in Baden-Württemberg untersucht. Als dritte Station suchen die Forscher noch eine Gemeinde in der Region Straubing, eine vierte wollen sie nach der Reisesaison auswählen. Zugleich laufen andere Studien. Laut dem Vizepräsidenten des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Bernhard Liebl, sind Forscher der Unis Regensburg und Erlangen im Kreis Tirschenreuth unterwegs, andere Wissenschaftler nehmen 3000 Münchner Haushalte unter die Lupe.

In Bad Feilnbach wie im ganzen Raum Rosenheim sind die Zahlen längst unauffällig, aber eine zweite Welle will dort niemand erleben, da sind sich alle einig: Im besten Fall tragen die Tests in Bad Feilnbach zur Entwicklung eines Impfstoffs bei.

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SZ vom 24.06.2020
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