Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Das Dorf der Splitterparteien

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Das unterfränkische Michelrieth fand schon die Linke extrem wählenswert. Auch die politischen Veganer. Diesmal aber lag eine ganz andere Kleinstpartei vor allen anderen.

Von Olaf Przybilla

Es gibt sie nicht mehr, die festen Wählerbindungen. Und sollte es noch eines Beweises dafür bedürfen, so würde ein Blick ins lauschige Michelrieth genügen, ein Dorf am Rande des Spessarts, das man bislang vor allem eines zünftigen Wirtshauses wegen auf dem Schirm hatte. Bei der Bundestagswahl 2017 holte dort eine Vertreterin der Linken 26,2 Prozent der Erststimmen. Noch eindrücklicher war freilich das Zweitstimmenergebnis der "V-Partei", mit 18,2 Prozent kamen die politischen Veganer damals als drittstärkste Kraft ein, knapp hinter CSU und SPD.

Gut, das sind so unterfränkische Augenblicksphänomene, könnte man einwenden. Vier Jahr danach aber haben die Michelriether nun bewiesen, dass Flexibilität bei ihnen keine Führungskräfterhetorik ist. Die 376 wahlberechtigten Michelriether leben das vor. Linke und Veganer sind nun nicht mehr so angesagt, dafür ist dort am Sonntag der Stern der Partei "Die Basis" aufgegangen. Zumindest in der Lesart der selbsternannten Basisdemokraten. CSU und SPD teilten sich in Michelrieth Rang 2, beide kamen auf 18,25 Prozent. But the winner is: die "Basis" - mit satten 24,09 Prozent.

So wie in Michelrieth, sagt dann auch ein örtliches "Basis"-Vorstandsmitglied, "hätte ganz Deutschland wählen müssen". Hat es bekanntlich nicht. Und trotzdem würde man sich jetzt natürlich die Leute von der Forschungsgruppe Wahlen herbeiwünschen, die Wählerwanderungen in Michelrieth zwischen Veganern und Basalen in Pfeildiagrammen abbilden und der Sache mal ordentlich auf den Grund gehen. Tun sie aber nicht. Und so ist man hier auf Michelrieth-Experten zurückgeworfen.

Die wiederum sagen einem, es gebe in diesem Dorf einen Kern von Leuten, die weniger Wohlmeinende als notorische Sektierer, andere als eingetragene Glaubensgemeinschaft bezeichnen, die eigene Lebensmittel auf den Markt und offenbar auch eigenwillige Ideen in die Urne einbringen. Es gebe da so eine "Dorf-Bubble" sagt einer, der in Michelrieth aus beruflichen Gründen Feldstudien betreiben muss. Und selbst der Mann von der "Basis" orakelt über mögliche Schnittmengen zwischen den gläubigen Lebensmittelproduzenten und seiner Partei.

Wie dem auch sei. Die "Basis" will nun Dankesplakate im Dorf anbringen. Damit nicht in vier Jahren das "Team Todenhöfer" abräumt in Michelrieth.

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