Süddeutsche Zeitung

Unter Bayern:Los und Leid der Wirtsdirndl

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Wer als Mädchen im Wirtshaus aufwächst, ist in der Regel nicht aufs Maul gefallen - wie Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Die Geschichte hält aber auch andere Schicksale bereit.

Glosse von Hans Kratzer

Sie sind meistens fleißig, freundlich und unentbehrlich, und doch spielen die Wirtstöchter auf der großen Weltbühne nur ein Schattendasein. Das ist merkwürdig genug, denn diese Spezies ist ja in der Regel nicht aufs Maul gefallen.

In einem Wirtshaus im Rottal hat einmal ein Bierdimpfl recht gejammert, zuletzt ließ er die Wirtstochter mit klagender Stimme wissen: "I glaub, jetz stirb i!" Das Mädchen ließ sich nicht beeindrucken und raunte ihm nur zu: "Aber ned da herin!"

Befasst man sich näher mit dem Thema Wirtstöchter, so landet man alsbald im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das aktuell - wen wunderts - von einer Wirtstochter geführt wird. Michaela Kaniber (CSU) erzählt gern und voller Stolz, sie sei ein Wirtsdirndl. Es ist ja zum Glück nicht mehr so wie früher, als Buben vom Land die These vertraten, man müsste die dummen Dirndln (Deandln) vielleicht öfter an den Haaren schopfen.

Ministerin Kaniber, die sich diesbezüglich gewiss zu wehren wüsste, sagte vor Jahren beim Besuch eines Volksfestes in Eichstätt: "Ich bin ein Wirtsdirndl, ich mag ein Bier haben." Und im Gasthaus Namberger in Hörpolding sagte sie, als Wirtsdirndl lasse sie es sich nicht nehmen, in der Küche vorbeizuschauen.

Kaniber gehört zweifellos zur kernigen Abteilung der Wirtstöchter. Es gibt aber auch eine weichere Gattung, wie sie in Polanskis Film "Tanz der Vampire" aufscheint. Dort beißt ein Blutsauger in den Hals der schönen Wirtstochter Sarah. Bei Kaniber sollten Vampire das lieber nicht riskieren. Dass die Ministerin ihre Krallen schneller ausfährt, als Westernheld Lucky Luke seinen Colt zieht, wird Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) jederzeit bestätigen können.

Weniger robust war die schreibende Wirtstochter Emerenz Meier, die zuletzt ihr Glück in Amerika suchte, wo sie aber erst recht zugrunde ging. Überhaupt haben viel zu viele Wirtstöchter das blanke Elend erlebt: Die Schriftstellerin Lena Christ, die von der Mutter bis aufs Blut schikaniert wurde, oder all jene armen Geschöpfe, die der Gewalt der vom Bier erhitzten Männer ausgesetzt waren.

Kein Wunder, dass Paul Gauguin 1886 ein Wirtsdirndl malte, dessen Gesicht kein Strahlen verrät. Manche Wirtstöchter stehen im Licht, viele andere im Schatten. Im Radiosender Bayern 2 erzählte kürzlich ein Wirtsdirndl, ihre Mutter habe sie gewarnt: "Deandl, lern was Gscheids!"

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