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Aschau:Das vielleicht bayerischste aller Tiere ist zurück

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Bei Aschau im Chiemgau treibt sich neuerdings eine Schnappschildkröte herum. Sogar die Staatsregierung scheint sich an dieser Spezies ein Vorbild genommen zu haben.

Glosse von Maximilian Gerl

Vor Kurzem ging es an dieser Stelle um eine Gattung, die zu dieser Jahreszeit regelmäßig auftaucht: jenen medialen Lückenfüllern, die als Sommertiere bekannt sind. Zum Beweis, dass die Suche nach dem animalischen Star der Saison begonnen hat, wurde ein Sprengstoffspürhund aufgeführt, der sich nun Brillenspürhund nennen darf; außerdem eine Kuh, das sich vor der Polizei in einer Speisekammer versteckte, und ein Känguru auf der Flucht an oder um den Chiemsee, so genau weiß man es nicht. Was man aber zum Leidwesen genannter Tiere weiß: Die Suche ist vorbei, kaum dass sie angefangen hat. Bayern hat wieder eine Schnappschildkröte.

Tatsächlich: "Schildkröten-Alarm im Freibad", alarmierte die Bild bereits - ganz in der Tradition anderer kieferstarker Kriechtiere. "Lotti" etwa biss 2013 im Allgäu einem Jungen die Achillessehne durch. Im Jahr darauf wurde eine Schildkröte bei Erlangen gesichtet. Und 2015 hatte ein Angler eine im Landkreis Ansbach am Haken. Und 2022? Treibt sich das Reptil Meldungen zufolge im Naturbad in Aschau herum. Sogar die Freiwillige Feuerwehr rückte seinetwegen aus, musste aber zunächst mit leeren Händen und nassen Hosen wieder abziehen: Die Schnappschildkröte tauchte allen Eimern und Keschern davon. So leicht ist ein echter Sommerstar nicht zu fangen.

Ohnehin ist die Bedeutung der Schnappschildkröte kaum hoch genug einzuschätzen, ist sie doch das vielleicht bayerischste aller Tiere. Niemand lässt Nervensägen so elegant den Panzer runterrutschen, gibt sich so sturschädelig widerspenstig, aber durchaus friedlich, solange der persönliche Freiraum gewahrt bleibt. Auch als Vorbild scheint sie sich gewisser Beliebtheit zu erfreuen. Sich an Lande gerne gemächlich fortbewegen, dafür aber reflexhaft zubeißen, kennt man zum Beispiel von der Staatsregierung. Fast schon egal, was der Bund dieser Tage entscheidet (oder nicht entscheidet), aus dem Freistaat gibt es daran in der Regel erst mal Kritik - obwohl man es sich hierzulande etwa in der Energiepolitik oder beim Bahnausbau schon selbst sehr gemütlich gemacht hat. Sogar eine Benachteiligung Bayerns wittern manche, nur weil sie jetzt mal nicht in Berlin mitspielen dürfen. Es würde so gesehen höchste Zeit, die Löwen in CSU-Logo und Freistaat-Wappen auszutauschen - gegen Schnappschildkröten.

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